Dienstag, 3. Juni 2008

Die Eifersucht

von Salomon Gessner (1730 – 1788)

Die wütendste der Leidenschaften ist Eifersucht; die giftigste der Schlangen, die Furien in unsern Busen werfen. Das hat Alexis empfunden. Er liebte Daphnen, und Daphne liebte ihn. Beyde waren schön; er männlich braun; sie weiß und unschuldig, wie die Lilie wenn sie am Morgenroth sich öffnet. Sie hatten sich ewige Liebe geschworen; Venus und die Liebesgötter schienen jede Gutthat über sie auszugiessen. Der Vater des Alexis hatte von einer schweren Krankheit sich erholt. Sohn, so sprach er, ich hab' ein Gelübde gethan, dem Gotte der Gesundheit sechs Schafe zu opfern: Geh hin, und führe die Schafe zu seinem Tempel. Zwo lange Tagreisen weit war's zum Tempel des Gottes. Mit Thränen nahm er Abschied vom Mädgen, als hätt' er ein weites Meer zu befahren, und traurig trieb er die Schafe vor sich her. Sich so entfernend seufzt' er, wie die Turteltaube seufzt, den langen Weg hin; gieng durch die schönsten Fluren, und sah sie nicht; die schönsten Aussichten verbreiteten sich, und er fühlte ihre Schönheit nicht; er fühlte nur seine Liebe, er sah nur sein Mädgen, sah sie in ihrer Hütte, sah sie bey den Quellen im Schatten, hörte seinen Namen sie nennen, und seufzte. So gieng er hinter seinen Schafen her, verdrüssig daß sie nicht schnell sind wie Rehe, und kam zum Tempel. Das Opfer ward gebracht, geschlachtet, und er eilt von Liebe beflügelt nach seiner Heimath zurück. In einem Gebüsche drang ein Dorn tief in seine Fußsole, und der Schmerz erlaubte ihm kaum zu einer nahen Hütte zu schleichen. Ein gutthätiges Paar nahm ihn auf, und belegte mit heilenden Kräutern seine Wunde. Götter, wie bin ich unglücklich, so seufzt er immer, und staunt und zählt jede Minute; jede Stunde scheint ihm eine traurige Winternacht; und endlich goß eine ungünstige Gottheit das Gift der Eifersucht in sein Herz. Götter! Welch ein Gedanke! So murmelt er, und sah wütend umher: Daphne könnte mir ungetreu seyn! Häßlicher Gedanke! Aber Mädgen sind Mädgen, und Daphne ist schön; wer sieht sie ohne zu schmachten? Und schmachtet nicht Daphnis schon lange? Schön ist er: Wen rührt nicht sein Gesang; wer bläst die Flöte wie er? Seine Hütte steht bey Daphnens Hütte, nur ein reitzender Schatten steht zwischen beyden. O flieh mich, flieh mich häßlicher Gedanke! Immer gräbst du dich tiefer in meinen Busen, und peinigest mich Tag und Nacht. Oft zeigt ihm die kranke Einbildung sein Mädgen, wie sie schüchtern im Schatten schleicht, wo Daphnis an der Quelle ihr und dem Wiederhall die Schmerzen seiner Liebe singt; er sieht ihr schmachtendes Aug; er sieht's wie Seufzer ihren Busen schwellen. Oder er sieht sein Mädgen in gewölbten Schatten schlummern: Daphnis schleicht in die Schatten; sieht sie, schleicht näher; ungestört heftet sein trunkener Blick sich auf jede Schönheit. Er bückt sich, küßt ihre Hand, und sie erwachet nicht; er küßt ihre Wangen; er küßt ihre Lippen – – Und sie erwachet nicht! ruft er wütend. O ich Elender! Aber was für häßliche Bilder schaff ich mir selber; warum bin ich so erfindsam, mich mit der grausamsten Marter zu quälen; warum denk ich nur, ich Undankbarer, was ihre Unschuld beleidigt?
Der sechste quaalvolle Tag war's schon, und seine Wunde noch nicht ganz geheilt. Er umarmte seine Gutthäter: Was fromme Gutthätigkeit sagen kann, das sagten sie, ihn zurückzuhalten. Umsonst, von Furien verfolgt eilt er, so schnell er kann. Abend war's, und der volle Mond schien, da er von ferne Daphnens Hütte sah. Ha! Jetzt, jetzt flieht mich, häßliche, martervolle Gedanken! Dort wohnt sie, die mich liebt; und heute noch, heute noch wein' ich vor Freud' in ihren Armen. Er sprach es, und eilte. Aber unter der Reblaube hervor, die zu der Hütte führt, sah er sein Mädgen dahergehn. Sie ist's! Ha Daphne, du bist's; deine schlanke Länge, dein sanfter Gang, dein schneeweisses Gewand! Sie ist's, Götter! Aber wohin geht sie nächtlicher Weile? Gefährlich ist es schwachen Mädgen in der Nacht aufs freye Feld sich zu wagen. Vielleicht will sie voll Sehnsucht auf meinen Weg mir entgegen. Er sprach's: Aber ein Jüngling kömmt ihr aus der Laube nach, schleicht sich an ihre Seite, und freundlich drückt sie ihre Hand in die seine. Ein Blumenkörbgen gab er ihr; mit süsser Gebehrde nahm sie's an ihren Arm. So giengen sie von der Hütte weg im Mondschein daher. Voll Entsetzen stand Alexis in der Ferne, und bebt von der Sole bis zum Haupt. Götter! Ha, was seh ich! Zuwahr, ach zuwahr ist's, was mich quälte! Eine mitleidige Gottheit hat's vorhergesagt. Ach ich Elender! O wer bist du, Gott oder Göttin, die mein Unglück mir vorher empfinden ließ? Räche, o räche mich, strafe vor meinen Augen, strafe diese Treulosigkeit, und dann lasse mich Elenden sterben!
Mit verschlungenen Armen giengen das Mädgen und der Jüngling, mit huldreichen Gebehrden giengen sie am Mondschein; dem Myrtenwäldgen zu, das den Tempel der Venus umkränzt.
In die Schatten dieser Myrthen gehen sie! So sagte wütend Alexis; in diese Schatten, wo sie oft mir die treueste Liebe schwur! Jetzt sind sie im Wäldgen. Götter! Ich sehe sie nicht mehr; verborgen im dichtesten Gesträuche, da werden sie in den Schatten sich setzen. Doch nein, ich sehe sie wieder; am Mondschein glänzt ihr weisses Gewand, durch die Ranken und die schwarzen Stämme. Sie stehn still; hier ist ein schöner offner Platz und weiches Gras. Treulose! Hier setzet euch hin; hier dem hellen Mond gegenüber, und schwört euch bey seinem Schimmer eure lasterhafte Liebe zu. Möchten die Furien euch verjagen! Aber nein, horche! Die Nachtigallen singen ihre zärtlichsten Lieder, die Turteltauben seufzen um sie her. Doch nein, auch hier bleiben sie nicht; sie gehn zum Tempel der Göttin. Ha, ich will näher, ich will sie sehn, ich will sie behorchen!
Er schlich in den Myrtenhain. Immer giengen sie dem Tempel näher, der auf weissen Marmorsäulen am Mondschein in die nächtliche Luft emporglänzte. Wie! Sie wagen's die Stuffen des Tempels zu betreten! Sollte die Göttin der Liebe die schwarzeste Untreue schützen? Er sprach's, und sah das Mädgen die Stuffen des Tempels hinaufgehn; das Blumenkörbgen am Arm, gieng sie unter die umzirkelnden Säulen, und der Jüngling blieb an einer derselben stehn. Im Schatten des Haynes trat Alexis näher. Schauernd und voll Verzweiflung schlich er in dem Schatten, den eine der Säulen warf, schmiegte sich an die Säule hin, und sah Daphne zum Bilde der Venus gehn: Von milchweissem Marmor stand sie im Mondschein, als schmiegte sie mit dem Anstand einer Göttin vor den erstaunten Blicken anbetender Sterblicher sich rückwärts, und blickte huldreich zu den Opfernden von ihrem Fußgestell nieder. Daphne sank vor der Göttin aufs Knie, legte die Blumenkränze vor sich hin, und mit wehmüthiger Gebehrde und schluchzend flehte sie so: Höre, o höre, süsse Göttin, du Schützerin treuer Liebe, höre mein Flehn; nimm gütig an die Kränze die ich zum Opfer dir bringe! Abendthau und meine Thränen glänzen drauf. Ach schon ist's der sechste Tag seit Alexis mich verließ! O milde, gute Göttin, laß ihn gesund in meine Arme zurückkommen! Schütze, o schütze ihn auf seinem Wege, und führ' ihn, so gesund und so voll Liebe, wie er mich verließ, in meine schmachtenden Arme zurücke.
Alexis hört's, sieht gegen sich über den Jüngling stehn, dem jetzt der helle Mond ins Gesicht schien. Er war Daphnens Bruder; denn furchtsam wollte sie nicht nächtlicher Weile allein zum Tempel gehn.
Alexis trat hinter der Säule hervor. Daphne von dem frohesten Entzücken überrascht, er voll Freude und voll Schaam, sanken beyde mit umschlungenen Armen vor der Göttin hin.

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