L(i)eben
von Theobald Tiger [i.e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Morgens, vom letzten Schlaf ein Stück,
nimm mich ein bißchen mit –
auf deinem Traumboot zu gleiten ist Glück –
Die Zeituhr geht ihren harten Schritt . . .
pick-pack . . .
"Sie schläft mit ihm" ist ein gutes Wort.
Im Schlaf fließt das Dunkle zusammen.
Zwei sind keins. Es knistern die kleinen Flammen,
aber dein Atem fächelt sie fort.
Ich bin aus der Welt. Ich will nie wieder in sie zurück –
jetzt, wo du nicht bist, bist du ganz mein.
Morgens, im letzten Schlummer ein Stück,
kann ich dein Gefährte sein.
Clarisse1 - 29. Jun, 18:26
Er hat alle Frauen bekommen, die er begehrt hat – und er hat aus Vorsicht nur die begehrt, die er bekommen konnte.Ignaz Wrobel [i.e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Clarisse1 - 5. Jun, 13:42
von Theobald Tiger [i.e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Einmal müssen zwei auseinandergehn;
einmal will einer den andern nicht mehr verstehn – –
einmal gabelt sich jeder Weg – und jeder geht allein –
wer ist daran schuld?
Es gibt keine Schuld. Es gibt nur den Ablauf der Zeit.
Solche Straßen schneiden sich in der Unendlichkeit.
Jedes trägt den andern mit sich herum –
etwas bleibt immer zurück.
Einmal hat es euch zusammengespült,
ihr habt euch erhitzt, seid zusammengeschmolzen, und dann erkühlt –
Ihr wart euer Kind. Jede Hälfte sinkt nun herab –:
ein neuer Mensch.
Jeder geht seinem kleinen Schicksal zu.
Leben ist Wandlung. Jedes Ich sucht ein Du.
Jeder sucht seine Zukunft. Und geht nun mit stockendem Fuß,
vorwärtsgerissen vom Willen, ohne Erklärung und ohne Gruß
in ein fernes Land.
Clarisse1 - 25. Mai, 13:56
Man denkt oft, die Liebe sei stärker als die Zeit. Aber immer ist die Zeit stärker als die Liebe.Kurt Tucholsky (1890 – 1935)
Clarisse1 - 1. Apr, 13:22
von Luise Büchner (1821 – 1877)
Ich will nicht dein gedenken,
Sollst nicht mehr bei mir sein
In allem meinem Denken,
In meinem ganzen Sein.
Die Rose wird gepflücket
Vom Sturm, an einem Tag,
Den Felsen selbst zerstücket
Ein einz'ger Donnerschlag.
So will ich's auch erringen,
Dem Alles ist geweiht –
Schnell soll dies Herz erzwingen
Sich die Vergeßlichkeit!
Nicht, wie ja Alles müde
Zu Grabe endlich schwankt,
Nein, wie die Ros' verblühte,
Und wie der Felsen wankt.
So flieh mit einem Schlage
Du Leid, so herb gesinnt,
Dich tödt' an einem Tage,
Vernunft, der rauhe Wind!
Umsonst, umsonst ihr Mühen,
Es trotzt ihr jede Stund –
Nie wird des Herzens Glühen
Besiegt vom weisen Mund!
Clarisse1 - 2. Jan, 11:53
Der Sinnenrausch ist zur Liebe, was der Schlaf zum Leben.Novalis (1772 – 1801)
Clarisse1 - 11. Okt, 15:19
von Karoline von Günderode (1780 – 1806)
O reiche Armuth! Gebend, seliges Empfangen!
In Zagheit Muth! in Freiheit doch gefangen.
In Stummheit Sprache,
Schüchtern bei Tage,
Siegend mit zaghaftem Bangen.
Lebendiger Tod, im Einen sel'ges Leben
Schwelgend in Noth, im Widerstand ergeben,
Genießend schmachten,
Nie satt betrachten
Leben im Traum und doppelt Leben.
Clarisse1 - 1. Okt, 14:51
Es gibt doch nur eine wirkliche Gehirnkrankheit: Ehrgeiz. Du bist da, wie lange, und dann bist Du nicht mehr da, ewig. Und währenddessen bist Du ehrgeizig?! Beschäftige Dich mit der Restlosigkeit Deines Schlafens, mit Deinen unentrinnbaren Verdauungskräften, mit Wiesen, Wäldern, Seen, Bächen. Aber lasse jeglichen Ehrgeiz. Der, der dich beneidet, ist Deine Bemühung nicht wert. Und: Wer beneidet Dich?! Jeder sucht Dir zu beweisen, daß Du Dich auf einem falschen Wege befindest. Niemand würde mit Dir tauschen. Ehrgeiz ist ein Irrsinn, eine schwere Gehirnkrankheit: Du bist da, wie lange, wie kurz, und Du bist nicht mehr da, ewig. Und währenddessen soll Dich Herr – um irgend Etwas beneiden?! Ave Diogenes!Peter Altenberg (1859 – 1919)
Clarisse1 - 17. Aug, 11:01
Weil ich deinen Kuß noch fühle
von Max Dauthendey (1867 – 1918)
Schwüle geht im Herzen um,
Weil ich deinen Kuß noch fühle.
Geh' ums Leben heut herum,
Möcht' kein Wörtlein von mir geben,
Nur das Herz möcht' mir entschweben,
Lippen blieben gerne stumm.
Tragen von der Liebesstund
Noch die süße Blüte und
Alle Glieder sagen warm:
Arm macht niemand je mich wieder.
Clarisse1 - 6. Jul, 10:19
von Bruno Wille (1860 – 1928)
Vorbei! Die Stunden wandern;
Ins Schattenreich entschwebt
Der eine Tag zum andern . . .
O Herz, heißt das gelebt?
Noch blüht ihr, letzte Rosen,
Vom Abendstrahl umloht;
Mit kalter Hand zu kosen,
Kommt diese Nacht der Tod.
Der Garten wird verschneien . . .
Dann fragt ein Seufzen schwer:
Warum nur blieb im Maien
Dies Herz von Liebe leer?
Mein Leben geb ich gerne
Um Kuß und zärtlich Wort.
Und bleibt die Liebe ferne,
Ich werf es achtlos fort.
Mag Stund auf Stunde rinnen;
Was kümmert mich die Zeit!
Ein Augenblick voll Minnen
Wiegt eine Ewigkeit.
Clarisse1 - 2. Jul, 13:09