Melancholie

Freitag, 27. Februar 2009

Melancholie II

Melancholie jeglicher Art ist das Gefühl der Unfähigkeit, den Weg seiner Ideale zu Ende gehen zu können! Deshalb machen sich die, die sich schwach fühlen, vorzeitig künstliche nahegelegene Ideale, um ihren Melancholien entrinnen zu können!Peter Altenberg (1859 – 1919)

Samstag, 10. Januar 2009

Rastlos

von Luise Hensel (1798 – 1876)

Mir wird's zu eng in meinem Haus,
Ich muß in's weite Feld hinaus.

Ich will durch öde Haide gehn,
Wo Stürm' in hohen Tannen wehn:
Vielleicht verweht der trübe Schmerz,
Vielleicht schweigt dort mein jammernd Herz.

Ich will am Quellenbächlein stehn,
Will in die klaren Wellen sehn:
Vielleicht versenk' ich meinen Schmerz;
Dort schweigt ein Weilchen wohl mein Herz.

Ich will auf hohe Berge gehn,
Will weit durch ferne Fluren späh'n:
Vielleicht verliert sich dort mein Schmerz,
Vielleicht vergeß ich so mein Herz.

Ich will nach Blumen suchen gehn,
Will mich mit Kränzen schmücken schön,
In Blüthen bergen meinen Schmerz:
Vielleicht betrüg' ich so mein Herz.

Ich will – ach nein, ich will nichts mehr;
Die Welt ist trüb' und kalt und leer.

Dienstag, 23. Dezember 2008

Allen Veränderungen . . .

Allen Veränderungen, selbst jenen, die wir ersehnt haben, haftet etwas Melancholisches an, denn wir lassen einen Teil von uns selbst zurück. Wir müssen ein Leben sterben, ehe wir ein anderes beginnen können.Anatole France (1844 – 1924)

Montag, 26. November 2007

Umbra Vitae

von Georg Heym (1887 – 1912)

Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen
Und sehen auf die großen Himmelszeichen,
Wo die Kometen mit den Feuernasen
um die gezackten Türme drohend schleichen.

Und alle Dächer sind voll Sternedeuter,
Die in den Himmel stecken große Röhren,
Und Zauberer, wachsend aus den Bodenlöchern,
Im Dunkel schräg, die ein Gestirn beschwören.

Selbstmörder gehen nachts in großen Horden,
Die suchen vor sich ihr verlornes Wesen,
Gebückt in Süd und West und Ost und Norden,
Den Staub zerfegend mit den Armen-Besen.

Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile.
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen.
Sie springen, daß sie sterben, und in Eile,
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen,

Noch manchmal zappelnd. Und der Felder Tiere
Stehn um sie blind und stoßen mit dem Horne
In ihren Bauch. Sie strecken alle Viere,
Begraben unter Salbei und dem Dorne.

Die Meere aber stocken. In den Wogen
Die Schiffe hängen modernd und verdrossen,
Zerstreut, und keine Strömung wird gezogen,
Und aller Himmel Höfe sind verschlossen.

Die Bäume wechseln nicht die Zeiten
Und bleiben ewig tot in ihrem Ende,
Und über die verfallnen Wege spreiten
Sie hölzern ihre langen Finger-Hände.

Wer stirbt, der setzt sich auf, sich zu erheben,
Und eben hat er noch ein Wort gesprochen,
Auf einmal ist er fort. Wo ist sein Leben?
Und seine Augen sind wie Glas zerbrochen.

Schatten sind viele. Trübe und verborgen.
Und Träume, die an stummen Türen schleifen,
Und der erwacht, bedrückt vom Licht der Morgen,
Muß schweren Schlaf von grauen Lidern streifen.

Samstag, 27. Oktober 2007

Alkohol

von Peter Altenberg (1859 – 1919)

Ich bin ein fanatischer Anti-Alkoholiker, aber ausschließlich nach dem Tolstoi-Prinzipe: Wenn die Menschen einmal so gesundheitgemäß, so weise mäßig, so bewußt, erkennend das Gute und das Böse, leben werden, dann werden sie in ihren genialen Nüchternheiten des Alkohols entbehren können. Die Krücke Alkohol für den Lahmen! Der Alkohol ist das Betäubungsmittel, damit wir es nicht spüren, wie weit entfernt von unseren innersten unentrinnbaren Idealen wir dahin vegetieren! Damit wir nicht vorzeitig verzweifeln! Der Alkohol läßt uns Zeit – – – zum Entschluß des Selbstmords! Der Gulden, den wir mehr ausgeben als wir sollten, die Frau, die wir als Ungeliebte, Unverehrte dennoch in unsere Arme nehmen, die Stunde, die wir dem notwendigen Schlafe rauben, die Nahrung, die wir überflüssigerweise genießen, Alles, Alles, was nicht das heilige Notwendige im Haushalt des natürlichen Organismus repräsentiert, es muß durch Alkohol in unseren reuevollen Gedächtnissen ausgetilgt werden! Die Melancholie über seine Sünden, seine Unwissenheiten, seine Schwachheiten muß hinweggeschwemmt werden durch Bier und Wein und Schnaps! Bei irgend einem Glase Bier wird einem die ohne Liebe genossene Frau, der überflüssig ausgegebene Gulden und das ganze Martyrium des Daseins wurst! Bier besiegt jede unglückliche Stimmung, schwemmt sie dahin. Der Zins steht vor der Türe oder die Schneider-Rechnung. Aber beim vierten Krügel Löwenbräu sage ich dem Hausherrn die gräßlichsten Dinge ins Gesicht, innerlich natürlich, schmeiße ich den Schneider die fünf Treppen hinab, innerlich. Und selbst die Geliebte erhält einen Tritt, innerlich. Bier besiegt jede unglückliche Liebe.
Alkohol füllt die schreckliche Kluft aus zwischen dem, was wir sind, und dem, was wir sein möchten, sein sollten! Werden müssen! Als der Affe erkannte, daß er ein Mensch werden könnte, begann er zu saufen, um den Schmerz seines Noch-Affe-Seins hinwegzuschwemmen. Als der Mensch erkannte, daß er ein Göttlicher werden könnte, begann er zu saufen, um den Schmerz seines Noch-Mensch-Seins hinwegzuschwemmen. Gebt dem Menschen die ihm zugehörige Tätigkeit – geistige oder körperliche –, die ihm zugehörige Frau, die ihm zugehörige Nahrung, die ihm zugehörige Ruhe – – – und er wird es, ohne selbst es zu wissen, spüren: Ἄριστον μὲν ὺδωρ.
Alkohol ist die Ausgleichung für unsere Unzulänglichkeiten! Je zulänglicher wir sind nach den idealen Plänen Gottes, desto weniger Alkohol brauchen wir. Alkohol ist der Maßstab für die Melancholie des Idealisten. Ich schwemme es hinweg, daß ich nicht göttlich sein kann!
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Aus: Die Fackel Nr. 160 vom 23.4.1904, S. 17ff.

Freitag, 26. Oktober 2007

Schwermut

von August Stramm (1874 – 1915)

Schreiten Streben
Leben sehnt
Schauern Stehen
Blicke suchen
Sterben wächst
Das Kommen
Schreit!
Tief
Stummen
Wir.

Freitag, 19. Oktober 2007

Herbstgefühl

von Betty Paoli (1814 – 1894)

Jetzt, da von kalter Lüfte Schauern
Die Bäume blatt- und blüthenlos,
Fühl' ich in mir ein reuig Trauern,
Daß ich den Frühling nicht genoß.

Er war so schön mit seinen Rosen,
Mit seinem Nachtigallensang,
Mit seines Hauches mildem Kosen
Und seinem frischen Blüthendrang.

Mir aber floß ein Born der Thränen
Inmitten dieser Frühlingslust,
Ich fühlte bei den frohsten Scenen
Den Jammer nur der eignen Brust.

Und jetzt erst, da die kahlen Bäume
Vom ernsten Winterfrost versehrt,
Reut mich's, daß ich der heitern Träume
Des lichten Frühlings mich erwehrt.

So werd' vielleicht in künft'gen Tagen
An eines andern Herbstes Grenz'
In eitler Sehnsucht bang' ich klagen
Um meines Sein's entfloh'nen Lenz!

O, jetzt schon fühl' ich, wie die Frage
Tief schmerzlich meine Brust durchbebt:
Warum ich meine Frühlingstage
Auf wüster Meeresfahrt verlebt?

Sonntag, 9. September 2007

Philister in Sonntagsröcklein

von Heinrich Heine (1797 – 1856)

Philister in Sonntagsröcklein
Spazieren durch Wald und Flur;
Sie jauchzen, sie hüpfen wie Böcklein,
Begrüßen die schöne Natur.

Betrachten mit blinzelnden Augen,
Wie alles romantisch blüht;
Mit langen Ohren saugen
Sie ein der Spatzen Lied.

Ich aber verhänge die Fenster
Des Zimmers mit schwarzem Tuch;
Es machen mir meine Gespenster
Sogar einen Tagesbesuch.

Die alte Liebe erscheinet,
Sie stieg aus dem Totenreich;
Sie setzt sich zu mir und weinet,
Und macht das Herz mir weich.

Samstag, 1. September 2007

In ein altes Stammbuch

von Georg Trakl (1887–1914)

Immer wieder kehrst du Melancholie,
O Sanftmut der einsamen Seele.
Zu Ende glüht ein goldener Tag.

Demutsvoll beugt sich dem Schmerz der Geduldige
Tönend von Wohllaut und weichem Wahnsinn.
Siehe! es dämmert schon.

Wieder kehrt die Nacht und klagt ein Sterbliches
Und es leidet ein anderes mit.

Schaudernd unter herbstlichen Sternen
Neigt sich jährlich tiefer das Haupt.

Montag, 20. August 2007

Lustig quasselt

von Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

Lustig quasselt der seichte Bach.
Scheinchen scheppern darüber flach.
Stumm gegen die Wellchen steht ein Stein,
Sieht – wie mir scheint –
Ernst aus und verweint.

Denn es macht traurig, unbequem zu sein.

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HELMUT ZEH

† 1. Juli 2005

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