Sprache

Mittwoch, 12. November 2008

Der wahre Stil dieser Zeit

In mir empört sich die Sprache selbst, Trägerin des empörendsten Lebensinhalts, wider diesen selbst. Sie höhnt von selbst, kreischt und schüttelt sich vor Ekel. Leben und Sprache liegen einander in den Haaren, bis sie in Fransen gehen, und das Ende ist ein unartikuliertes Ineinander, der wahre Stil dieser Zeit.Karl Kraus (1874 – 1936)

Mittwoch, 5. November 2008

Wonne sprachlicher Zeugung

Nur in der Wonne sprachlicher Zeugung wird aus dem Chaos eine Welt.Karl Kraus (1874 – 1936)

Montag, 27. Oktober 2008

Sprachwand

Oft bin ich nah der Sprachwand und empfange nur noch ihr Echo. Oft stoße ich mit dem Kopf an die Sprachwand.Wenn ich nicht weiter komme, bin ich an die Sprachwand gestoßen. Dann ziehe ich mich mit blutigem Kopf zurück. Und möchte weiter.Karl Kraus (1874 – 1936)

Freitag, 29. August 2008

Gedanke(n) II

Er konnte einen Gedanken, den jedermann für einfach hielt, in sieben andere spalten, wie das Prisma das Sonnenlicht, wovon einer immer schöner war als der andere, und dann einmal eine Menge anderer sammeln und Sonnenweiße hervorbringen, wo andere nichts als bunte Verwirrrung sahen.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)Der Gedanke ist in der Welt, aber man hat ihn nicht. Er ist durch das Prisma stofflichen Erlebens in Sprachelemente zerstreut: der Künstler schließt sie zum Gedanken.Karl Kraus (1874 – 1936)

Montag, 25. August 2008

"Rübchen schaben"

Ein Satz kann nie zur Ruhe kommen. Nun sitzt dies Wort, denke ich, und wird sich nicht mehr rühren. Da hebt das nächste seinen Kopf und lacht mich an. Ein drittes stößt ein viertes. Die ganze Bank schabt mir Rübchen. Ich laufe hinaus; wenn ich wiederkomme, ist alles wieder ruhig; und wenn ich unter sie trete, geht der Lärm los.Karl Kraus (1874 – 1936)

Samstag, 23. August 2008

Herz der Sprache

Das älteste Wort sei fremd in der Nähe, neugeboren und mache Zweifel, ob es lebe. Dann lebt es. Man hört das Herz der Sprache klopfen.Karl Kraus (1874 – 1936)

Montag, 18. August 2008

"Begriffskuppelei"

von Fritz Mauthner (1849 – 1923)

[. . .] kein Beruf steht dem des tüchtigen Philosophen so nahe wie der eines Heirathsvermittlers oder Kupplers. Denn unsere ganze Arbeit, wenn wir philosophiren, ist nichts Anderes als ein Verkuppeln zweier Begriffe, die sich oft gar nicht freiwillig mit einander verbinden wollen. Auch die neuen Begriffe, welche die also verbundenen Eheleute mit einander zeugen, fehlen nicht, wobei dann – wie so oft in der Ehe – nicht die Gattten und nicht die Sprößlinge, sondern die Kuppler und die Hebeammen den sichersten Vortheil davontragen."

Aus: Fritz Mauthner: Xanthippe. Dresden und Leipzig: Verlag von Heinrich Minden 1884, S. 25.

Sonntag, 17. August 2008

"Email" – [nicht zu verwechseln mit "E-Mail"]

von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Ich habe hier einmal einen bösen Schwupper gemacht; daß sich die Setzerkästen nicht gebogen haben! "Emaille" habe ich geschrieben – pfui! Ein guter Leser hat es angemerkt, und ich kroch mit seinem Brief in ein zu diesem Behuf angebrachtes Mauseloch und war eine halbe Stunde ganz klein und häßlich.
Das Wort "Emaille" gibt es nicht. Aber es gibt Wörter, die sind aus Email, nein, aus Zinn, nein, aus Blech, aus billigem, verbeultem Blech. Und weil wir gerade von der deutschen Sprache sprechen, dürfte es an der Zeit sein, einmal ein Wort gründlich zu beleuchten, das sich wie ein ansteckender Pickel in allen Schriftgesichtern ausbreitet. Es ist das Wort "Mensch" – mit den Nebenpickeln: "menschlich" –"Menschlichkeit" – "das Menschliche".
Es gibt kaum noch einen Aufsatz, kaum eine Rede, kein Buch, in dem dieses Modewort nicht zu finden wäre. Sie setzen es vor die Adjektive, um darzutun, daß es sich nicht um Alligatoren, sondern um Menschen handelt: "Er ist menschlich tüchtig"; sie schränken gute und schlechte Noten damit ein: "Er ist als Mensch zuverlässig"; manchmal ist die Vokabel auch ein Lob, was nach den vier Jahren Weltkrieg immerhin einen hübschen Rekord darstellt. Im Französischen erscheint solche Anwendung des Wortes nicht – im Englischen wohl auch nicht. Was haben sie nur – ?
Sie dokumentieren damit ein übersystematisches Denken, das zu den allerschwersten Fehlern führt. So sieht die Welt nicht aus – das ist eine Erfindung bureaukratischer Gehirne – es gibt nichts "rein Menschliches". Außer dem Leben des Menschen.
Da haben sie sich ein so bequemes Schema zurechtgemacht: einer ist Richter und Schachfreund und Familienvater und Nationalist. Gut. Und für jeden Kasten bekommt er eine Nummer – und der ganze kleine, der winzige Rest, der da übrigbleibt: – das ist das "Menschliche".
Es hat aber jeder das Recht, den ganzen Kerl so zu nehmen, wie er da ist: als Produkt seiner verschiedenen Tätigkeiten; als Summe seiner Betätigungen; als Schnittpunkt aller seiner Lebenslinien. Untrennbar sind sie – die Trennung ist künstlich. Ein grausamer Strafanstaltsdirektor ist ein grausamer Mensch – ob er zu Hause seinem Kanarienvogel zu fressen gibt und zu seinen Kindern nett ist, ist gleich und ändert nichts, aber auch gar nichts an dem, was er vormittags
im Büro mit dem Strafgefangenen getrieben hat. Ein Mensch ist ein Tau, aus vielerlei Fäden gewoben – es geht nicht an, einen, den roten oder den grünen Faden,der sich hindurchzieht, gesondert zu betrachten. Wenigstens führt es zu gar nichts: gewertet wird der Strick. Nicht der bunte Faden. Und das ist recht so.
Wie alle Modewörter hat auch dieses da siebenundachtzig Bedeutungen und zum Schluß keine mehr. (Melodie: "Er ist menschlich schon irgendwie sehr gut.") Der Unfug hat in den letzten Jahren derart überhandgenommen, daß sich ein anständiger Schriftsteller schämen sollte, das Wort noch zu gebrauchen, wenn er es nicht durch den Gebrauch veredelt und neu schafft. In der Tagessprache hat es Bedeutung und Qualität völlig eingebüßt – der weihevolle Klang, mit dem es ausgesprochen wird, steht zu seinem Groschenpreis in keinem Verhältnis. Ein Buch "menschlich" zu nennen, besagt gar nichts – es gibt böse Menschen und gute, und die meisten sind Gemischtwaren. Als Gesamturteil ist das Wort nichtssagend – als abgrenzendes Urteil, das sehr verschmitzt die wahren Niederträchtigkeiten des Objekts aus dem Scheinwerferlicht herausnehmen will, ist es irreführend. Nieder mit dem "Menschlichen"! Es lebe das Sachliche.
"Bismarck als Mensch" – das ist Froschperspektive. Denn seine staatsmännische Tätigkeit machte einen Teil seines ganzen Daseins aus, und der preußische Aberglaube, man könne für die Betroffenen etwas damit entschuldigen, daß man sagt: "Ja, er hat das ja nicht offiziell getan!" ist sehr gefährlich. Man kann viel Unheil damit anrichten und viel Böses verstecken. Menschliches Leben ist aus einem Stück – so einander widersprechend auch die einzelnen Handlungen sein mögen. Und ist einer im Amt unmenschlich: auch das ist menschlich und gehört dazu und zu ihm.
Lasset uns, o Brüder, dieses Modewort beerdigen, auf daß es nimmer auferstehe. Noch besser: ihr verbrennet es; es ist sicherer. Und die Asche des "Menschlichen" wollet in einen Topf tun –, damit wir in der Preislage bleiben, in einen solchen aus Email.

Samstag, 16. August 2008

Einfachheit

von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Das wollen wir uns immer wieder klarmachen: Terminologie ist noch gar nichts.
Da ist nun die Formalbildung in die Breite, also nicht in die Tiefe, gegangen, und: "funktionell" – "kulturphysiologisch" –"physiopsychologisch" – "Komplex" – das können sie nun alle. Aber ist damit etwas ausgesagt?
Die Deutschen haben zwei große Grundgesetze entdeckt, und zwei sehr bequeme dazu: sie glauben, eine Sache damit entschuldigt zu haben, daß sie ihren technischen Hergang erklären – und sie halten es für bedeutend, wenn sie eine Binsenwahrheit in das Vokabularium ihrer eingelernten Fachwörter einspannen. Aber es ist nicht viel damit.
Mitunter läßt sich das nicht vermeiden – mitunter bringt es einen weiter.
Aber seit jeder Esel mit ein paar angelesenen Philosophie-Brocken herumjongliert, daß einem ganz angst und bange wird, hat das aufgehört: es ist einfach trivial geworden, platt, alltäglich, nichtssagend und völlig leer. Zur Zeit wird getragen: Soziologie (ganz fürchterlich), Individual-Psychologie, Musik-Philosophie und bei den ganz Feinen: Erkenntniskritik.
Oft habe ich mir die unnütze Mühe gemacht, diesen Kram ins Deutsche zu übertragen – es kam fast immer heraus: "Ignoramus" oder: "a = a", auch hießen diese Wortkaskaden, wenn man sie hatte von sich abrauschen lassen: "Aufgeregte Menschen denken nicht so logisch wie ruhige" oder ähnliche epochemachende Weisheiten. Damit ist wenig getan.
Man sei mißtrauisch, wenn der Autor in dem byzantinischen Stil falscher Wissenschaftlichkeit einhergestelzt kommt. Der Kaiser hat ja keine Kleider . . . und unter dem tombaknen Zeug siehst du ein paar jämmerlich dünne Beine und geflickte Unterhosen.

Samstag, 26. Juli 2008

Tastende Sprache . . .

Die Sprache tastet wie die Liebe im Dunkel der Welt einem verlorenen Urbild nach. Man macht nicht, man ahnt ein Gedicht.Karl Kraus (1874 – 1936)

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HELMUT ZEH

† 1. Juli 2005

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