Metamorphosen
aus: Lucinde (1799) von Friedrich Schlegel (1772 – 1829)
In süßer Ruhe schlummert der kindliche Geist und der Kuß der liebenden Göttin erregt ihm nur leichte Träume. Die Rose der Scham färbt seine Wange, er lächelt und scheint die Lippen zu öffnen, aber er erwacht nicht, und er weiß nicht, was in ihm vorgeht. Erst nachdem der Reiz des äußeren Lebens, durch ein inneres Echo vervielfältigt und verstärkt, sein ganzes Wesen überall durchdrungen hat, schlägt er das Auge auf, frohlockend über die Sonne, und erinnert sich jetzt an die Zauberwelt, die er im Schimmer des blassen Mondes sah. Die wunderbare Stimme, die ihn weckte, ist ihm geblieben, aber sie tönt nun statt der Antwort von den äußeren Gegenständen zurück; und wenn er dem Geheimnis seines Daseins mit kindlicher Schüchternheit zu entfliehen strebt, das Unbekannte mit schöner Neugier suchend, vernimmt er überall nur den Nachhall seiner eigenen Sehnsucht.
So schaut das Auge in dem Spiegel des Flusses nur den Widerschein des blauen Himmels, die grünen Ufer, die schwankenden Bäume und die eigene Gestalt des in sich selbst versunkenen Betrachters. Wenn ein Gemüt voll unbewußter Liebe da, wo es Gegenliebe hoffte, sich selbst findet, wird es von Erstaunen getroffen. Doch bald läßt sich der Mensch wieder durch den Zauber der Anschauung locken und täuschen, seinen Schatten zu lieben. Dann ist der Augenblick der Anmut gekommen, die Seele bildet ihre Hülle noch einmal und atmet den letzten Hauch der Vollendung durch die Gestalt. Der Geist verliert sich in seiner klaren Tiefe und findet sich wie Narzissus als Blume wieder.
Liebe ist höher als Anmut, und wie bald würde die Blüte der Schönheit fruchtlos welken ohne die ergänzende Bildung der Gegenliebe!
Dieser Augenblick, der Kuß des Amor und der Psyche, ist die Rose des Lebens. – Die begeisterte Diotima hat ihrem Sokrates nur die Hälfte der Liebe offenbart. Die Liebe ist nicht bloß das stille Verlangen nach dem Unendlichen; sie ist auch der heilige Genuß einer schönen Gegenwart. Sie ist nicht bloß eine Mischung, ein Übergang vom Sterblichen zum Unsterblichen, sondern sie ist eine völlige Einheit beider. Es gibt eine reine Liebe, ein unteilbares und einfaches Gefühl ohne die leiseste Störung von unruhigem Streben. Jeder gibt dasselbe, was er nimmt, einer wie der andere, alles ist gleich und ganz und in sich vollendet wie der ewige Kuß der göttlichen Kinder.
Durch die Magie der Freude zerfließt das große Chaos streitender Gestalten in ein harmonisches Meer der Vergessenheit. Wenn der Strahl des Glücks sich in der letzten Träne der Sehnsucht bricht, schmückt Iris schon die ewige Stirn des Himmels mit den zarten Farben ihres bunten Bogens. Die lieblichen Träume werden wahr, und schön wie Anadyomene heben sich aus den Wogen des Lethe die reinen Massen einer neuen Welt und entfalten ihren Gliederbau an die Stelle der verschwundenen Finsternis. In goldener Jugend und Unschuld wandelt die Zeit und der Mensch im göttlichen Frieden der Natur, und ewig kehrt Aurora schöner wieder.
Nicht der Haß, wie die Weisen sagen, sondern die Liebe trennt die Wesen und bildet die Welt, und nur in ihrem Licht kann man diese finden und schauen. Nur in der Antwort seines Du kann jedes Ich seine unendliche Ganzheit ganz fühlen. Dann will der Verstand den innern Keim der Gottähnlichkeit entfalten, strebt immer näher nach dem Ziele und ist voll Ernst, die Seele zu bilden, wie ein Künstler ein geliebtes Werk. In den Mysterien der Bildung schaut der Geist das Spiel und die Gesetze der Willkür und des Lebens. Das Werk des Pygmalion bewegt sich, und den überraschten Künstler ergreift ein freudiger Schauer im Bewußtsein eigener Unsterblichkeit, und wie der Adler den Ganymedes, reißt ihn die göttliche Hoffnung mit mächtigem Fittich zum Olymp.
In süßer Ruhe schlummert der kindliche Geist und der Kuß der liebenden Göttin erregt ihm nur leichte Träume. Die Rose der Scham färbt seine Wange, er lächelt und scheint die Lippen zu öffnen, aber er erwacht nicht, und er weiß nicht, was in ihm vorgeht. Erst nachdem der Reiz des äußeren Lebens, durch ein inneres Echo vervielfältigt und verstärkt, sein ganzes Wesen überall durchdrungen hat, schlägt er das Auge auf, frohlockend über die Sonne, und erinnert sich jetzt an die Zauberwelt, die er im Schimmer des blassen Mondes sah. Die wunderbare Stimme, die ihn weckte, ist ihm geblieben, aber sie tönt nun statt der Antwort von den äußeren Gegenständen zurück; und wenn er dem Geheimnis seines Daseins mit kindlicher Schüchternheit zu entfliehen strebt, das Unbekannte mit schöner Neugier suchend, vernimmt er überall nur den Nachhall seiner eigenen Sehnsucht.
So schaut das Auge in dem Spiegel des Flusses nur den Widerschein des blauen Himmels, die grünen Ufer, die schwankenden Bäume und die eigene Gestalt des in sich selbst versunkenen Betrachters. Wenn ein Gemüt voll unbewußter Liebe da, wo es Gegenliebe hoffte, sich selbst findet, wird es von Erstaunen getroffen. Doch bald läßt sich der Mensch wieder durch den Zauber der Anschauung locken und täuschen, seinen Schatten zu lieben. Dann ist der Augenblick der Anmut gekommen, die Seele bildet ihre Hülle noch einmal und atmet den letzten Hauch der Vollendung durch die Gestalt. Der Geist verliert sich in seiner klaren Tiefe und findet sich wie Narzissus als Blume wieder.
Liebe ist höher als Anmut, und wie bald würde die Blüte der Schönheit fruchtlos welken ohne die ergänzende Bildung der Gegenliebe!
Dieser Augenblick, der Kuß des Amor und der Psyche, ist die Rose des Lebens. – Die begeisterte Diotima hat ihrem Sokrates nur die Hälfte der Liebe offenbart. Die Liebe ist nicht bloß das stille Verlangen nach dem Unendlichen; sie ist auch der heilige Genuß einer schönen Gegenwart. Sie ist nicht bloß eine Mischung, ein Übergang vom Sterblichen zum Unsterblichen, sondern sie ist eine völlige Einheit beider. Es gibt eine reine Liebe, ein unteilbares und einfaches Gefühl ohne die leiseste Störung von unruhigem Streben. Jeder gibt dasselbe, was er nimmt, einer wie der andere, alles ist gleich und ganz und in sich vollendet wie der ewige Kuß der göttlichen Kinder.
Durch die Magie der Freude zerfließt das große Chaos streitender Gestalten in ein harmonisches Meer der Vergessenheit. Wenn der Strahl des Glücks sich in der letzten Träne der Sehnsucht bricht, schmückt Iris schon die ewige Stirn des Himmels mit den zarten Farben ihres bunten Bogens. Die lieblichen Träume werden wahr, und schön wie Anadyomene heben sich aus den Wogen des Lethe die reinen Massen einer neuen Welt und entfalten ihren Gliederbau an die Stelle der verschwundenen Finsternis. In goldener Jugend und Unschuld wandelt die Zeit und der Mensch im göttlichen Frieden der Natur, und ewig kehrt Aurora schöner wieder.
Nicht der Haß, wie die Weisen sagen, sondern die Liebe trennt die Wesen und bildet die Welt, und nur in ihrem Licht kann man diese finden und schauen. Nur in der Antwort seines Du kann jedes Ich seine unendliche Ganzheit ganz fühlen. Dann will der Verstand den innern Keim der Gottähnlichkeit entfalten, strebt immer näher nach dem Ziele und ist voll Ernst, die Seele zu bilden, wie ein Künstler ein geliebtes Werk. In den Mysterien der Bildung schaut der Geist das Spiel und die Gesetze der Willkür und des Lebens. Das Werk des Pygmalion bewegt sich, und den überraschten Künstler ergreift ein freudiger Schauer im Bewußtsein eigener Unsterblichkeit, und wie der Adler den Ganymedes, reißt ihn die göttliche Hoffnung mit mächtigem Fittich zum Olymp.
Clarisse1 - 9. Mai, 16:07
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