Die Eifersucht
von Salomon Gessner (1730 – 1788)
Die wütendste der Leidenschaften ist Eifersucht; die giftigste der Schlangen, die Furien in unsern Busen werfen. Das hat Alexis empfunden. Er liebte Daphnen, und Daphne liebte ihn. Beyde waren schön; er männlich braun; sie weiß und unschuldig, wie die Lilie wenn sie am Morgenroth sich öffnet. Sie hatten sich ewige Liebe geschworen; Venus und die Liebesgötter schienen jede Gutthat über sie auszugiessen. Der Vater des Alexis hatte von einer schweren Krankheit sich erholt. Sohn, so sprach er, ich hab' ein Gelübde gethan, dem Gotte der Gesundheit sechs Schafe zu opfern: Geh hin, und führe die Schafe zu seinem Tempel. Zwo lange Tagreisen weit war's zum Tempel des Gottes. Mit Thränen nahm er Abschied vom Mädgen, als hätt' er ein weites Meer zu befahren, und traurig trieb er die Schafe vor sich her. Sich so entfernend seufzt' er, wie die Turteltaube seufzt, den langen Weg hin; gieng durch die schönsten Fluren, und sah sie nicht; die schönsten Aussichten verbreiteten sich, und er fühlte ihre Schönheit nicht; er fühlte nur seine Liebe, er sah nur sein Mädgen, sah sie in ihrer Hütte, sah sie bey den Quellen im Schatten, hörte seinen Namen sie nennen, und seufzte. So gieng er hinter seinen Schafen her, verdrüssig daß sie nicht schnell sind wie Rehe, und kam zum Tempel. Das Opfer ward gebracht, geschlachtet, und er eilt von Liebe beflügelt nach seiner Heimath zurück. In einem Gebüsche drang ein Dorn tief in seine Fußsole, und der Schmerz erlaubte ihm kaum zu einer nahen Hütte zu schleichen. Ein gutthätiges Paar nahm ihn auf, und belegte mit heilenden Kräutern seine Wunde. Götter, wie bin ich unglücklich, so seufzt er immer, und staunt und zählt jede Minute; jede Stunde scheint ihm eine traurige Winternacht; und endlich goß eine ungünstige Gottheit das Gift der Eifersucht in sein Herz. Götter! Welch ein Gedanke! So murmelt er, und sah wütend umher: Daphne könnte mir ungetreu seyn! Häßlicher Gedanke! Aber Mädgen sind Mädgen, und Daphne ist schön; wer sieht sie ohne zu schmachten? Und schmachtet nicht Daphnis schon lange? [. . .] Hier geht's weiter.
Die wütendste der Leidenschaften ist Eifersucht; die giftigste der Schlangen, die Furien in unsern Busen werfen. Das hat Alexis empfunden. Er liebte Daphnen, und Daphne liebte ihn. Beyde waren schön; er männlich braun; sie weiß und unschuldig, wie die Lilie wenn sie am Morgenroth sich öffnet. Sie hatten sich ewige Liebe geschworen; Venus und die Liebesgötter schienen jede Gutthat über sie auszugiessen. Der Vater des Alexis hatte von einer schweren Krankheit sich erholt. Sohn, so sprach er, ich hab' ein Gelübde gethan, dem Gotte der Gesundheit sechs Schafe zu opfern: Geh hin, und führe die Schafe zu seinem Tempel. Zwo lange Tagreisen weit war's zum Tempel des Gottes. Mit Thränen nahm er Abschied vom Mädgen, als hätt' er ein weites Meer zu befahren, und traurig trieb er die Schafe vor sich her. Sich so entfernend seufzt' er, wie die Turteltaube seufzt, den langen Weg hin; gieng durch die schönsten Fluren, und sah sie nicht; die schönsten Aussichten verbreiteten sich, und er fühlte ihre Schönheit nicht; er fühlte nur seine Liebe, er sah nur sein Mädgen, sah sie in ihrer Hütte, sah sie bey den Quellen im Schatten, hörte seinen Namen sie nennen, und seufzte. So gieng er hinter seinen Schafen her, verdrüssig daß sie nicht schnell sind wie Rehe, und kam zum Tempel. Das Opfer ward gebracht, geschlachtet, und er eilt von Liebe beflügelt nach seiner Heimath zurück. In einem Gebüsche drang ein Dorn tief in seine Fußsole, und der Schmerz erlaubte ihm kaum zu einer nahen Hütte zu schleichen. Ein gutthätiges Paar nahm ihn auf, und belegte mit heilenden Kräutern seine Wunde. Götter, wie bin ich unglücklich, so seufzt er immer, und staunt und zählt jede Minute; jede Stunde scheint ihm eine traurige Winternacht; und endlich goß eine ungünstige Gottheit das Gift der Eifersucht in sein Herz. Götter! Welch ein Gedanke! So murmelt er, und sah wütend umher: Daphne könnte mir ungetreu seyn! Häßlicher Gedanke! Aber Mädgen sind Mädgen, und Daphne ist schön; wer sieht sie ohne zu schmachten? Und schmachtet nicht Daphnis schon lange? [. . .] Hier geht's weiter.
Clarisse1 - 3. Jun, 12:47
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