Was sagte wohl ein Wirtschaftsführer, wenn wir ihm seinen Betrieb so schilderten, wie er ihn zwei Jahre später im Prozeß schildern wird? Wenn wir also sagten: "Du weißt gar nicht, was hier vorgeht, oder du willst es nicht wissen; um dich herum wird betrogen; du bist geistig nicht auf der Höhe, fast in der Nähe des Paragraphen einundfünfzig; um dich herum wird bestochen!" Das alles darf aber erst ausgesprochen werden, wenn der Kerl tausend Unschuldige in seine Pleite hineingezogen hat.Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Clarisse1 - 20. Mär, 10:47
"Über uns in den Kronen der Bäume brauste der Frühlingssturm. Nach seiner Melodie wiegten sich schlanke Birken, und krachend splitterten von Eichen und Linden die dürren Äste."
Aus: Lily Braun (1865 – 1916): Memoiren einer Sozialistin. Kampfjahre. München: Albert Langen 1911.
Clarisse1 - 1. Mär, 16:13
von Wilhelm Müller (1794 – 1827)
Die Schwalbe kömmt, die Schwalbe kömmt, sie kömmt vom weißen Meer,
Sie fliegt heran, sie sieht sich um, als ob's nicht sicher wär'.
O März, o März, mein schöner Freund, ich fühl's, du bist mir nah!
O Februar, o Februar, wie lange bleibst du da?
Magst regnen, reifen, schneien auch, ich spreche doch dir Hohn:
Du riechst in deinen Schauern mir nach meinem Frühling schon.
Clarisse1 - 26. Feb, 09:50
Die Verwandtschaft ist eine Plage, die der liebe Gott sonst ganz gesunden Menschen auferlegt hat, damit sie nicht zu übermütig werden!
Kurt Tucholsky (1890 – 1935)
Clarisse1 - 24. Feb, 19:45
"Das Wetter hatte sich in der Tat sehr günstig angelassen. Die schönste Februarsonne strahlte vom blauen Himmel nieder und schuf einen wahren Frühlingstag, wenn auch die Landschaft noch ihre ganze winterliche Kahlheit aufwies."
Aus: Ferdinand von Saar (1833 – 1906): Ginevra. Heidelberg 1893.
Clarisse1 - 5. Feb, 10:18
von Cäsar Flaischlen (1864 – 1920)
Schon leuchtet die Sonne wieder am Himmel
und schmilzt die Schneelast von den Dächern
und taut das Eis auf an den Fenstern
und lacht ins Zimmer: wie geht's? wie steht's?
Und wenn es auch noch lang nicht Frühling,
so laut es überall tropft und rinnt ...
du sinnst hinaus über deine Dächer ...
du sagst, es sei ein schreckliches Wetter,
man werde ganz krank! und bist im stillen
glückselig drüber wie ein Kind.
Clarisse1 - 3. Feb, 16:53
Wollte dieser Schneesturm nimmer zu einem Ende kommen? Mächtiger und mächtiger sauste und brauste es und schüttete die weißen Lasten auf Forst und Dorf. Es knackte und knirschte das Gezweig, es krachten die Stämme [. . .].
Aus: Wilhelm Raabe (1831 – 1910): Else von der Tanne. In: Freya 5 (1865) 1.
Clarisse1 - 2. Feb, 17:50
von Peter Altenberg (1859 – 1919)
Mein Bruder sagt: "Melancholie ist Desorganisation. Deine Lebensmaschinerie (diesen Ausdruck hat er von mir, macht nichts, wenn er nur treffend ist, und das ist er, weiß Gott) zeigt dir ängstlich-besorgt an, daß irgend etwas irgendwo aus irgendwelcher unbekannten Ursache nicht ganz in Ordnung ist!"
Es kann doch aber Verzweiflung über irgend etwas ganz Positives sein, nicht!? Das ist ja eben schon eine Hinderung der Funktionen der Lebensmaschine, eine Anbahnung zum Beispiel künftiger Zuckerkrankheit oder anderer Stoffwechsellähmungen. Es gibt aber trotzdem dennoch auch grundlose Melancholien, physiologische Nirwanagefühle, "wozu bin ich eigentlich in dieser unvollkommenen vorläufig tragischen Welt"?! Diese Melancholien sind die historischen in deinem raschen Tagesleben, sie kommen von der Eltern oder Großeltern Ungnade her, sind dir mitgegeben scheinbar also grundlos! Das meiste Unrechte, Blödsinnige, Viertel- oder Halbirrsinnige aber, das man gegen seine Lebensmaschinerie unternimmt, hat den Grund, latente unbekannte Melancholien zu betäuben, zu bannen, auszuschalten, die meisten hoffen leider blödsinnig, sie dadurch zu heilen! Eine ewige Sehnsucht nach Vollkommenheiten ist latent in uns, und der Schmerz, sie nie zu erreichen, läßt uns die schauerlichsten kindischesten Blödsinne begehen, statt die Sehnsucht als Menschentum-Förderndes gelassen-ergeben tragisch auswirken zu lassen!
Clarisse1 - 31. Jan, 14:14
Ein Buch, das nicht wert ist, zweimal gelesen zu werden, ist auch nicht wert, daß man es einmal liest.Karl Julius Weber (1767 – 1832)
Clarisse1 - 12. Jan, 21:24
Clarisse1 - 3. Jan, 13:46
von Luise Büchner (1821 – 1877)
Ich will nicht dein gedenken,
Sollst nicht mehr bei mir sein
In allem meinem Denken,
In meinem ganzen Sein.
Die Rose wird gepflücket
Vom Sturm, an einem Tag,
Den Felsen selbst zerstücket
Ein einz'ger Donnerschlag.
So will ich's auch erringen,
Dem Alles ist geweiht –
Schnell soll dies Herz erzwingen
Sich die Vergeßlichkeit!
Nicht, wie ja Alles müde
Zu Grabe endlich schwankt,
Nein, wie die Ros' verblühte,
Und wie der Felsen wankt.
So flieh mit einem Schlage
Du Leid, so herb gesinnt,
Dich tödt' an einem Tage,
Vernunft, der rauhe Wind!
Umsonst, umsonst ihr Mühen,
Es trotzt ihr jede Stund –
Nie wird des Herzens Glühen
Besiegt vom weisen Mund!
Clarisse1 - 2. Jan, 11:53
von Karl Henckell (1864 – 1929)
Was ich erwünsche vom neuen Jahre?
Daß ich die Wurzel der Kraft mir wahre,
Festzustehen im Grund der Erden,
Nicht zu lockern und morsch zu werden,
Mit den frisch ergrünenden Blättern
Wieder zu trotzen Wind und Wettern,
Mag es ächzen und mag es krachen,
Stark zu rauschen, ruhig zu lachen,
So in Regen wie Sonnenschein
Freunden ein Baum des Lebens zu sein.
Clarisse1 - 1. Jan, 11:14
von Ludwig Eichrodt (1827 – 1892)
Vorüber ist das alte Jahr,
Ich wünsche Glück zum neun!
Was euch das alte noch nicht war,
Soll euch das neue sein.
Ich greife zu dem vollen Glas,
Und trink es aus und sag,
Ich wünsche Jedem Alles was
Er selbst sich wünschen mag.
Ich wünsch euch Alles, was auch euch
Befriediget und reizt,
Und daß mit euern Wünschen sich
Der meinen keiner kreuzt!
So treten wir ins neue Jahr
Getrosten Muthes ein –
Und was im alten noch nicht war,
Erfülle sich im neun!
Clarisse1 - 1. Jan, 11:11
von Wilhelm Busch (1832 – 1908)
Will das Glück nach seinem Sinn
Dir was Gutes schenken,
Sage Dank und nimm es hin
Ohne viel Bedenken.
Jede Gabe sei begrüßt,
Doch vor allen Dingen:
Das, warum du dich bemühst,
Möge dir gelingen.
Clarisse1 - 1. Jan, 11:09
Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)
Daß bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im geringsten.
Ich merke nur: Die Zeit verrinnt
Genau so wie zu Pfingsten,
Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.
Mit Cumberland, und vis-à-vis
Sitzt von den Krankenschwestern
Die sinnlichste. Ich kenne sie
Gut, wenn auch erst seit gestern.
Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
Prosit, barmherzige Schwester!
Auf! In mein Bett! Und prost Neujahr!
Rasch! Prosit! Prost Silvester!
Die Zeit verrinnt. Die Spinne spinnt
In heimlichen Geweben.
Wenn heute nacht ein Jahr beginnt,
Beginnt ein neues Leben.
Clarisse1 - 31. Dez, 04:29
"[. . .] aber wir Katzen sind noch immer das freieste Geschlecht, weil wir uns bei all unsrer Geschicklichkeit so ungeschickt anzustellen wissen, daß der Mensch ganz aufgibt, uns zu erziehen."
"Hinze der Kater" in: Ludwig Tieck (1773 – 1853): Der gestiefelte Kater. In: Volksmärchen, hrsg. von Peter Leberecht [i.e. Ludwig Tieck]. Berlin 1797.
Clarisse1 - 30. Dez, 21:22
"Am 27. März 1819 waren meine Eltern in Ruppin eingetroffen, am 30. Dezember selbigen Jahres wurde ich daselbst geboren. Es war für meine Mutter auf Leben und Sterben, weshalb sie, wenn man ihr vorwarf, sie bevorzuge mich, einfach antwortete: 'Er ist mir auch am schwersten geworden.' In dieser bevorzugten Stellung blieb ich lange, bis nach achtzehn Jahren ein Spätling, meine jüngste Schwester, geboren wurde, bei der ich Pate war und sie sogar über die Taufe hielt. Das war eine große Ehre für mich, ging aber mit meiner Dethronisierung durch ebendiese Schwester Hand in Hand. Als jüngstes Kind rückte sie selbstverständlich sehr bald in die Lieblingsstellung ein."
Aus: Theodor Fontane (1819 – 1898): Meine Kinderjahre. Berlin 1894.
Clarisse1 - 30. Dez, 09:43