Sonntag-Nachmittag
von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
In meiner Straße ist es still – so still. Der Wind weht ein paar Glockenklänge herüber, aber man fühlte auch ohne sie, daß heute Sonntag ist. Ein kleiner Hund läuft über den Damm und hält seinen buschigen Schwanz steil und ernsthaft in die Höhe … Ich stehe auf dem Balkon und probiere eine neue Pfeife …
Und da erhebt ein Piston seine Stimme, seine laute Stimme, seine posaunige Stimme, und es wird treu und bieder geblasen. „Den schönsten Platz, den ich auf Erden hab“, – singt das Piston – „das ist die Rasenbank am Elterngrab …“ Ordentlich mit einer Fermate vor dem Refrain und ruhevollem Ausharren auf den Gipfelpunkten der Musik … „Oh“, singt das Piston, „was war es doch früher für eine schöne Zeit! Der Kaiser fuhr über die Linden, und alle Leute nahmen die Hüte ab und riefen Hurra. Wenn einer vom Unterdiätar zum Oberdiätar befördert wurde, zog er sich einen schwarzen Kaiserwilhelmgedächtnisrock an und machte bei seinem höhern Vorgesetzten einen Diener. Zu Hause gab es dann Gänsebraten und sauern Rotwein, und Heddy bekam Popoklatsche, weil sie sich die Sauce über das himmelblaue Kleid gegossen hatte. Es war eine schöne Zeit.“ Erschüttert schweigt das Piston. Dann singt es wieder. „Der Arbeiter war ein Arbeiter und ein etwas verachtetes Tier; wir aber waren wohlfundierte Existenzen, und niemand störte unser freundliches Spiel. Bei Vorstellungen sagte man von seiner Frau: ‚Gemahlin’ und wußte überhaupt, was sich gehörte. Und die Liebe –? Ach, ja, die Liebe …“ Der Pistonbläser bläst – ich sehe ihn nicht – nun mit vollen Backen. „Ach, Tanzabend in Hasensee, Ball und Karussell und Spaziergang im Mondenschein! Ihr Schuhband löste sich, und das Weitere machte sich von allein! Und das Vaterland –?“ Hier hebt der Bläser an, Wagner zu blasen. Markig und donnernd entladen sich die Klänge seiner fetten Trompete.
An allen Fenstern Gesichter. Sie glänzen. Das Piston spricht aus, was sie alle empfinden.
In meiner Straße ist es still – so still. Der Wind weht ein paar Glockenklänge herüber, aber man fühlte auch ohne sie, daß heute Sonntag ist. Ein kleiner Hund läuft über den Damm und hält seinen buschigen Schwanz steil und ernsthaft in die Höhe … Ich stehe auf dem Balkon und probiere eine neue Pfeife …
Und da erhebt ein Piston seine Stimme, seine laute Stimme, seine posaunige Stimme, und es wird treu und bieder geblasen. „Den schönsten Platz, den ich auf Erden hab“, – singt das Piston – „das ist die Rasenbank am Elterngrab …“ Ordentlich mit einer Fermate vor dem Refrain und ruhevollem Ausharren auf den Gipfelpunkten der Musik … „Oh“, singt das Piston, „was war es doch früher für eine schöne Zeit! Der Kaiser fuhr über die Linden, und alle Leute nahmen die Hüte ab und riefen Hurra. Wenn einer vom Unterdiätar zum Oberdiätar befördert wurde, zog er sich einen schwarzen Kaiserwilhelmgedächtnisrock an und machte bei seinem höhern Vorgesetzten einen Diener. Zu Hause gab es dann Gänsebraten und sauern Rotwein, und Heddy bekam Popoklatsche, weil sie sich die Sauce über das himmelblaue Kleid gegossen hatte. Es war eine schöne Zeit.“ Erschüttert schweigt das Piston. Dann singt es wieder. „Der Arbeiter war ein Arbeiter und ein etwas verachtetes Tier; wir aber waren wohlfundierte Existenzen, und niemand störte unser freundliches Spiel. Bei Vorstellungen sagte man von seiner Frau: ‚Gemahlin’ und wußte überhaupt, was sich gehörte. Und die Liebe –? Ach, ja, die Liebe …“ Der Pistonbläser bläst – ich sehe ihn nicht – nun mit vollen Backen. „Ach, Tanzabend in Hasensee, Ball und Karussell und Spaziergang im Mondenschein! Ihr Schuhband löste sich, und das Weitere machte sich von allein! Und das Vaterland –?“ Hier hebt der Bläser an, Wagner zu blasen. Markig und donnernd entladen sich die Klänge seiner fetten Trompete.
An allen Fenstern Gesichter. Sie glänzen. Das Piston spricht aus, was sie alle empfinden.
Clarisse1 - 6. Mai, 11:35
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