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Eifersucht
von Peter Altenberg (1859 – 1919)
Sie war sehr, sehr krank. – Der Arzt verordnete einen halben Liter heiße Zitronenlimonade, ein wollenes Tuch um den Kopf und stundlang schwitzen.
Sie war aber arm, und die Quartiersfrau, bei der sie wohnte, konnte ihr nur eine dünne Bettdecke geben. Da sandte ihr der Dichter seine grünrote Flanelldecke, die er selbst benötigte, und sein Freund, der Baron, sandte eine Pelzdecke aus selbstgeschossenen Wildkatzenfellen, die er gar nicht brauchte.
Als nun der Dichter sie besuchte, fand er die Pelzdecke direkt auf ihrem heißen, glühenden Leibe liegen, die Flanelldecke dagegen zuoberst. Er sagte es ihr sogleich ziemlich brutal, daß er dieses für einen „Treuebruch“ halte, wenn auch in den ersten Anfangsstadien.
Sie erwiderte: „Ich wollte deine Decke streicheln können, immer und immer mit meinen zärtlichen Fingern. Deshalb gab ich sie zuoberst.“ „Du Falsche! – – –“ sagte der Dichter und ging zürnend weg.
Später kam der Arzt und sagte: „Ich würde Ihnen vorschlagen, Fräulein, die schwere Pelzdecke zuunterst zu legen, und die leichtere Flanelldecke oben darauf; es ist zweckmäßiger!“
„Nein“, sagte sie, „das tue ich nicht.“ Als sie endlich gesund war, sagte der Arzt von ihr: „Die Hysterie solcher Patientinnen erschwert den Heilungsprozeß ganz besonders. Selbst in nichtigen Kleinigkeiten müssen sie ihren lächerlichen eigensinnigen Willen durchsetzen. –“
Clarisse1 - 7. Sep, 15:54
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