Aus aktuellem Anlass: Börse 1901
von Karl Kraus (1874 – 1936) in: "Die Fackel", Nr. 81, Juni 1901, S. 5-7
Die Börsenräthe haben eine "Action" gegen die Hofräthe vom Obersten Gerichtshof angekündigt. Nun thut eine Gegenaction noth; oder, wenn man von Börsensachen im Börsenjargon sprechen will, eine Reaction, das heißt, ein Schlag gegen das Treiben der Börsenwettbureaux, bei dem es den börsenliberalen Herren schwarz vor den Augen wird. Man muss aus dem Urtheil des Obersten Gerichtshofes, das die Unwirksamkeit des Pfandrechtes an den Depots für Differenzgeschäfte aussprach, die Consequenzen ziehen. Tausende und Abertausende sind im Lauf der Jahre durch Banken und Bankiers um ihren Wertpapierbesitz gebracht worden. Die meisten haben ihn, wenn sie Börsenwetten verloren, freiwillig hingegeben. Ihnen ist nicht zu helfen; Zahlungen einer Schuld, zu deren Eintreibung das Gesetz bloß das Klagerecht versagt – und solcher Art sind alle Wettschulden – können nach § 1432 a.b.G.-B. ebensowenig zurückgefordert werden, wie wenn jemand eine Zahlung leistet, von der er weiß, dass er sie nicht schuldig ist. Aber die Hunderte von Verleiteten und Ahnungslosen, von denen Zuschüsse zu ihren Depots verlangt und deren Engagements, weil sie sie nicht zu leisten vermochten, executiv gelöst wurden, alle die Armen, die die kargen Sparpfennige ihres Alters zu mehren gedachten und um die letzten gebracht wurden, sie können auf Grund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zurückfordern, was ihnen widerrechtlich entzogen worden ist. Mögen sie ehestens mit ihren Klagen an die Gerichte herantreten! Aber so wie die Action der Inhaber von Börsenwettbureaux muss auch die Gegenaction die Hilfe der Regierung anrufen. Wenn alles, was unglücklichen Spielern, die sich an die Börse wagten, wider ihren Willen und widerrechtlich abgenommen worden ist, zurückgefordert wird, dann werden die Capitalien der Banken und die Vermögen der Börsenbuchmacher nicht ausreichen. Die Regierung muss rechtzeitig für die Sicherstellung dieser Ansprüche sorgen. Sie setze Curatoren zur Wahrung der Rechte aller derer ein, die künftig Rückforderungen an Banken und Bankiers stellen wollen, sie bringe ein Gesetz vor den Reichsrath, dass eine Längstfrist für die Geltendmachung der Rückforderungen bestimmt, und sie stelle bis zum Ablauf dieser Frist die Banken und Bankgeschäfte unter Sequester. Herr v. Böhm-Bawerk bedauert gewiss, dass es an einer gesetzlichen Handhabe fehlt, um die Ansprüche der im Börsenspiel Geplünderten auch auf die aus dieser trüben Quelle stammenden Vermögen von Verwaltungsräthen und Bankdirectoren sicherzustellen und sich eventuell auch der Personen dieser Herren zu versichern. Hoffentlich bringt hier die Zukunft Rath. Im Deutschen Reich können wir jetzt beobachten, welch treffliche Wirkung die Verhaftung einiger Bankdirectoren thut. Wenn man uns eines Tages auch nur einen der unseren Spielbanken vorstehenden Ehrenmänner entrisse, so würde man sämmtlichen Instituten dieses Kalibers die Fortsetzung ihrer noch immer bloß vom landesfürstlichen Commissär und niemals von dem hoffentlich scharfsichtigeren Staatsanwalt geprüften Geschäftspraxis weit gewisser unmöglich machen, als es durch das beste Börsengesetz geschehen könnte. »Men, not measures« bedeutet in Börsensachen so viel wie: Keine gesetzlichen Maßnahmen gegen die Banken, aber die Festnahme der Bankdirectoren . . . .
Die Börsenräthe haben eine "Action" gegen die Hofräthe vom Obersten Gerichtshof angekündigt. Nun thut eine Gegenaction noth; oder, wenn man von Börsensachen im Börsenjargon sprechen will, eine Reaction, das heißt, ein Schlag gegen das Treiben der Börsenwettbureaux, bei dem es den börsenliberalen Herren schwarz vor den Augen wird. Man muss aus dem Urtheil des Obersten Gerichtshofes, das die Unwirksamkeit des Pfandrechtes an den Depots für Differenzgeschäfte aussprach, die Consequenzen ziehen. Tausende und Abertausende sind im Lauf der Jahre durch Banken und Bankiers um ihren Wertpapierbesitz gebracht worden. Die meisten haben ihn, wenn sie Börsenwetten verloren, freiwillig hingegeben. Ihnen ist nicht zu helfen; Zahlungen einer Schuld, zu deren Eintreibung das Gesetz bloß das Klagerecht versagt – und solcher Art sind alle Wettschulden – können nach § 1432 a.b.G.-B. ebensowenig zurückgefordert werden, wie wenn jemand eine Zahlung leistet, von der er weiß, dass er sie nicht schuldig ist. Aber die Hunderte von Verleiteten und Ahnungslosen, von denen Zuschüsse zu ihren Depots verlangt und deren Engagements, weil sie sie nicht zu leisten vermochten, executiv gelöst wurden, alle die Armen, die die kargen Sparpfennige ihres Alters zu mehren gedachten und um die letzten gebracht wurden, sie können auf Grund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zurückfordern, was ihnen widerrechtlich entzogen worden ist. Mögen sie ehestens mit ihren Klagen an die Gerichte herantreten! Aber so wie die Action der Inhaber von Börsenwettbureaux muss auch die Gegenaction die Hilfe der Regierung anrufen. Wenn alles, was unglücklichen Spielern, die sich an die Börse wagten, wider ihren Willen und widerrechtlich abgenommen worden ist, zurückgefordert wird, dann werden die Capitalien der Banken und die Vermögen der Börsenbuchmacher nicht ausreichen. Die Regierung muss rechtzeitig für die Sicherstellung dieser Ansprüche sorgen. Sie setze Curatoren zur Wahrung der Rechte aller derer ein, die künftig Rückforderungen an Banken und Bankiers stellen wollen, sie bringe ein Gesetz vor den Reichsrath, dass eine Längstfrist für die Geltendmachung der Rückforderungen bestimmt, und sie stelle bis zum Ablauf dieser Frist die Banken und Bankgeschäfte unter Sequester. Herr v. Böhm-Bawerk bedauert gewiss, dass es an einer gesetzlichen Handhabe fehlt, um die Ansprüche der im Börsenspiel Geplünderten auch auf die aus dieser trüben Quelle stammenden Vermögen von Verwaltungsräthen und Bankdirectoren sicherzustellen und sich eventuell auch der Personen dieser Herren zu versichern. Hoffentlich bringt hier die Zukunft Rath. Im Deutschen Reich können wir jetzt beobachten, welch treffliche Wirkung die Verhaftung einiger Bankdirectoren thut. Wenn man uns eines Tages auch nur einen der unseren Spielbanken vorstehenden Ehrenmänner entrisse, so würde man sämmtlichen Instituten dieses Kalibers die Fortsetzung ihrer noch immer bloß vom landesfürstlichen Commissär und niemals von dem hoffentlich scharfsichtigeren Staatsanwalt geprüften Geschäftspraxis weit gewisser unmöglich machen, als es durch das beste Börsengesetz geschehen könnte. »Men, not measures« bedeutet in Börsensachen so viel wie: Keine gesetzlichen Maßnahmen gegen die Banken, aber die Festnahme der Bankdirectoren . . . .
Clarisse1 - 14. Okt, 13:31
0 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
Trackback URL:
https://clarisse.twoday.net/stories/5254911/modTrackback