L(i)eben

Samstag, 10. Januar 2009

Liebe I

Die treffendste wahrste Schilderung der Liebe ist, daß sie nicht geschildert werden kann.Sophie Mereau (1770 – 1806)

Freitag, 9. Januar 2009

Die Raupe und der Schmetterling

von Johann Gottfried Herder (1744 – 1803)

Freund, der Unterschied der Erdendinge
Scheinet groß und ist so oft geringe;
Alter und Gestalt und Raum und Zeit
Sind ein Traumbild nur der Wirklichkeit.

Träg und matt auf abgezehrten Sträuchen
Sah ein Schmetterling die Raupe schleichen,
Und erhob sich fröhlich, argwohnfrei,
Daß er Raupe selbst gewesen sei.

Traurig schlich die Alternde zum Grabe:
»Ach, daß ich umsonst gelebet habe!
Sterbe kinderlos und wie gering!
Und da fliegt der schöne Schmetterling.«

Aengstig spann sie sich in ihre Hülle,
Schlief, und als der Mutter Lebensfülle
Sie erweckte, wähnte sie sich neu,
Wußte nicht, was sie gewesen sei.

Freund, ein Traumreich ist das Reich der Erden.
Was wir waren, was wir einst noch werden,
Niemand weiß es; glücklich sind wir blind;
Laß uns Eins nur wissen: was wir sind.

Raupenleben

von Luise Hensel (1798 – 1876)

Mir schmeckt von allen Bäumen
Kein einzig Blättlein mehr;
Ich möchte ruhn und träumen,
Als ob ich gar nicht wär'.

Matt schlepp' ich zu der Höhe
Den kranken Leib hinan
Und wo ich Halt erspähe,
Vollend' ich meine Bahn.

Da web' ich mir die Truhe
So heimlich, klar und lind,
Darin ich meine Ruhe
Und Auferstehung find'.

O Mensch, ein wahrer Spiegel
Ist dir mein Lebenslauf:
Auch dir erwachsen Flügel
Und tragen dich hinauf.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Modernes Liebesgedicht

von Peter Altenberg (1859 – 1919)

Ich liebe Dich, Paulina,
weil Du bei Nacht bei weitgeöffneten Fenstern
schläfst und die Luft Deines frischen Gartens einatmest –
ich liebe Dich, weil Du Halbschuhe trägst zu jeder Jahreszeit, bei Regen und bei Schnee!
Ich liebe Dich, weil Du "Zugluft" verträgst, ja, eben nur darin gedeihst!
Ich liebe Dich, weil dein Apfelblütenteint nur behandelt wird mit lauem Wasser und billiger milder Mandelseife, das Stück zu 50 Heller!
Ich liebe Dich, weil in einem einfachen schmalen Holz-Kästchen über deinem Bette sämtliche Werke von Knut Hamsun gereiht stehen, in blauem Lederband!
Ich liebe Dich, weil Du mich verstehst, und Dich selbst, und alle Bäume, alle Blumen verstehst,
und Franz Schubert verstehst, Hugo Wolf, Johannes Brahms, und alle schönen Katzen, Pferde, Vögel, Fische, und auch die heilige Bürde der Einsamkeit verstehst, noch zu dem allem dazu!

Donnerstag, 20. November 2008

Verloren

von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Wenn man etwas verloren hat, ist man sehr traurig. Der Wert der Sache macht es nicht – da ist noch etwas anders.
Spieler fühlen den Gewinn als eine sichtbare Erhöhung ihrer Persönlichkeit, der zu gewinnen wohlansteht, ein Kerl, der so gebaut ist, muß eben gewinnen, das gehört zu seinen immanenten Eigenschaften. Verlust ist, bei auch nur sanfter Anlage zum Verfolgungssinn, Strafe der Götter und fühlbare Hand des Schicksals. Man hat das nicht gern. Auch hat Verlust noch eine andere bitter schmeckende Eigenschaft. Er macht lieben, was verloren ist.
Nie ist ein Gegenstand so leibhaftig da wie der, der nicht mehr da ist. Jetzt erst wird er ganz lebendig, schätzenswert, fast unersetzbar – so einen bekommst du nie mehr wieder. Aber es gibt doch noch andere Schirme, Kanarienvögel, Zerstäuber . . . Ja, aber so einen nicht.
Denn mit dem Verlorenen ist ein Stück Leben mitgegangen, es hat so vieles mitgemacht, an ihm hängen Energien, Blicke, Rufe, Lachen. Das hat es alles aufgesogen. Worauf die Sehnsuchtsmaschine einsetzt: Gestern . . . gestern um diese Zeit war er noch da. Da lag er, da hat er gestanden, ich legte meine Hand auf ihn . . . heute ist er fort. Wo ist er jetzt? Wo mag er jetzt sein? Wer hat ihn? Warum habe ich ihn nicht mehr? Komm zurück. So habe ich dich nie geliebt.
Verlust macht ärmer. Und wenn mir einer dreizehn neue Hüte kauft: Verlust macht ärmer. Wir selbst wollen die abgelegten und zu Ende gelebten Sachen wegtun – sie sollen uns nicht fortlaufen. Es ist Verrat an der Freundschaft. Wer je ein altes Kinderbuch von sich wiedergefunden hat, weiß, was ich meine: das Buch ist nur die dingliche Erscheinung, die Unterlage von scheinbar abstrakten Niederschlägen: jeder Käsefleck ist eine Lebensetappe.
Stunden oder Tage lang wird die verlorene Sache zur fixen, zur festen Idee. Das ganze Lebensgefühl dreht sich ihr zu, wendet sich empfindlich vom hellen Tage ab, zieht das Gefühl ein und liebt. Dann kommt der Krach mit Tante Anna nun endgültig zum Ausbruch, auch muß die Hypothekenkündigung eingetragen werden, und fragt dich einer nach dem kleinen Taschenmesserchen mit der matten Schale, dann sagst du – und mußt erst etwas nachdenken, bevor du antwortest: "Das? – Ach ja, das habe ich verloren." Es heißt, daß man mit Menschen ähnlich umgehe.

Dienstag, 18. November 2008

Ein männlicher Briefmark . . .

von Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

Ein männlicher Briefmark erlebte
Was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt.
Da war die Liebe in ihm geweckt.

Er wollte sie wiederküssen,
Da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens!

Samstag, 1. November 2008

Widersprüche der Liebe

von Aloys Blumauer (1755 – 1798)

Die Tyrannin, die so viele Sklaven
Zählt als Menschen auf der Erde sind,
Und mit ihren sieggewohnten Waffen
Alles zwingt, ist doch der Freiheit Kind.

Sie, an deren schwerem Siegeswagen
Wir nie anders als gebunden geh'n,
Der nur Zwang und Sklavendienst behagen,
Kann doch ohne Freiheit nicht besteh'n.

Sie, die mit dem Blick die Freiheit tödtet,
Stirbt doch selbst vom kleinsten Hauch der Pflicht,
Sie, die uns so fest zusammenkettet,
Duldet die geringste Fessel nicht.

Sie, die Widerstand nicht überwindet,
Die selbst Elternfluch nicht übermannt,
Flieht vor jedem Schein des Zwangs, und schwindet
Unter'm Segen einer Priesterhand.

Sie, die frei im ew'gen Lenze blühet,
Welket über Nacht im Ehhett' ab;
Sie, die nach Genusse lechzt und glühet,
Findet im Genusse selbst ihr Grab.

D'rum wozu soll sich der Mensch entschliessen?
Soll er ewig fruchtlos Sklave seyn?
Soll er lieben ohne zu geniessen?
Oder soll er ohne Liebe frey'n?

Mittwoch, 13. August 2008

Wider die Liebe

von Kaspar Hauser [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Die brave Hausfrau liest im Blättchen
von Lastern selten dustrer Art,
vom Marktpreis fleißiger Erzkokettchen,
vom Lustgreis auch mit Fußsackbart.

Mein Gott, denkt sich die junge Gattin,
mein Gott! welch ein Spektakulum!
"Das schlanke Frauenzimmer hat ihn . . . "
Ja was? Sie bringt sich reinweg um.

O Frau! Die Phantasie hat Grenzen,
sie ist so eng – es gibt nicht viel.
Nach wenigen Touren, wenigen Tänzen
ists stets das alte, gleiche Spiel.

Der liebt die Knaben. Dieser Ziegen.
Die will die Männer laut und fett.
Die mag bei Seeoffizieren liegen.
Und der geht nur mit sich ins Bett.

Hausbacken schminkt sich selbst das Laster.
Sieh hin – und Illusionen fliehn.
Es gründen noch die Päderaster
'Verein für Unzucht, Sitz Berlin'.

Was kann der Mensch denn mit sich machen!
Wie er sich anstellt und verrenkt:
Was Neues kann er nicht entfachen.
Es sind doch stets dieselben Sachen . . .
Geschenkt! Geschenkt!

Freitag, 1. August 2008

Von der Liebe

von Giordano Bruno (1548 – 1600)

Gott Amor thut mir auf die Demantpforten
Und lehrt die hehre Wahrheit mich verstehen.
Das Aug' ist meines Gottes Thor; im Sehen
Entspringt, lebt, wächst er, ewig herrscht er dorten.

Er offenbart die Wesen aller Orten;
In treuem Bild darf ich das Ferne spähen.
Mit Jugendkraft zielt er: nun ist's geschehen.
Er trifft ins Herz und sprenget alle Pforten.

O thöricht Volk, von Sinnen stumpf und öde,
Hör' auf mein Wort! denn es ist recht und tüchtig.
Kannst du's, thu' ab vom Aug' die dunkle Binde!

Ihn schiltst du blind, weil deine Augen blöde;
Weil wankelmütig du, nennst ihn du flüchtig;
Weil du unmündig, machst du ihn zum Kinde.

Dienstag, 1. Juli 2008

Aus der ach so karg gefüllten Schale unsres Herzens

von Christian Morgenstern (1871 – 1914)

Aus der ach so karg gefüllten Schale unsres Herzens
laßt uns Liebe schöpfen, wo nur immer einer Seele
Schale leersteht und nach Liebe dürstet.

Nicht versiegen drum wird unsre Schale,
steigen wird die so geschöpfte Flut, nicht fallen,
Fülle wird das Los des so verschwenderischen Herzens.

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"Es gibt Worte, die nie gesagt werden dürfen, sonst sterben sie ..." – Kurt Tucholsky

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HELMUT ZEH

† 1. Juli 2005

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