Von berühmten ungedruckten Büchern
von Fritz Mauthner (1849 – 1923)
Es mag schon wunderlich klingen, nur von ungedruckten Büchern zu hören. Man weiß ja, daß es im Altertum und im Mittelalter keine durch Druck vervielfältigten Bücher gegeben hat, vielmehr nur im Handwerk abgeschriebene; aber seit Erfindung des Buchdrucks wird bekanntlich alles oder doch fast alles durch die Druckmaschine vervielfältigt, was irgend geschrieben wurde. Die Buchdruckpresse ist hungrig, nicht erst seit gestern; schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurde in Holland, damals dem einzigen Lande des freien Denkens und der freien Presse, selbst von freisinnigen Menschen eine Einschränkung des Massenbetriebes herbeigesehnt, eine unmögliche Zensur durch guten Geschmack. Noch wunderlicher mag die Nachricht klingen, daß es berühmte ungedruckte Bücher gegeben habe. Als Beispiele ließen sich da Schriften aus alter und neuer Zeit anführen, die ungedruckt geblieben sind, weil sie verloren gegangen waren, oder weil kein Verleger die Kosten daran wagte (wie heute noch bei manchen scholastischen Manuskripten), oder weil gar die vielgenannte Geistesschöpfung (wie Lessings vollständiger "Faust") niemals auf der Welt gewesen war. Die Fälle, auf die ich hinweisen möchte, sind anderer und merkwürdigerer Art; es handelt sich um drei schriftstellerische Taten, von denen in den Kämpfen für und gegen die Aufklärung unzählige Male die Rede war, ohne daß die Bücher selbst durch den Druck zugänglich gemacht wurden; am seltsamsten liegt der dritte Fall, weil da das Buch nur als Titel wie eine Legende durch die Jahrhunderte ging und ein Buch zu dem Titel eigentlich erst ein halbes Jahrtausend später geschrieben wurde. Die wirklichen oder angeblichen Verfasser dieser Werke waren die verwegensten Aufklärer des 13., des 16. und des 18. Jahrhunderts. Der Nachfolger wußte wenig oder nichts von seinen Vorgängern; noch fehlte ein bewußter geschichtlicher Zusammenhang, jeder dieser Männer war ganz und gar ein Kind seiner Zeit, einer Aufklärungszeit.
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Es mag schon wunderlich klingen, nur von ungedruckten Büchern zu hören. Man weiß ja, daß es im Altertum und im Mittelalter keine durch Druck vervielfältigten Bücher gegeben hat, vielmehr nur im Handwerk abgeschriebene; aber seit Erfindung des Buchdrucks wird bekanntlich alles oder doch fast alles durch die Druckmaschine vervielfältigt, was irgend geschrieben wurde. Die Buchdruckpresse ist hungrig, nicht erst seit gestern; schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurde in Holland, damals dem einzigen Lande des freien Denkens und der freien Presse, selbst von freisinnigen Menschen eine Einschränkung des Massenbetriebes herbeigesehnt, eine unmögliche Zensur durch guten Geschmack. Noch wunderlicher mag die Nachricht klingen, daß es berühmte ungedruckte Bücher gegeben habe. Als Beispiele ließen sich da Schriften aus alter und neuer Zeit anführen, die ungedruckt geblieben sind, weil sie verloren gegangen waren, oder weil kein Verleger die Kosten daran wagte (wie heute noch bei manchen scholastischen Manuskripten), oder weil gar die vielgenannte Geistesschöpfung (wie Lessings vollständiger "Faust") niemals auf der Welt gewesen war. Die Fälle, auf die ich hinweisen möchte, sind anderer und merkwürdigerer Art; es handelt sich um drei schriftstellerische Taten, von denen in den Kämpfen für und gegen die Aufklärung unzählige Male die Rede war, ohne daß die Bücher selbst durch den Druck zugänglich gemacht wurden; am seltsamsten liegt der dritte Fall, weil da das Buch nur als Titel wie eine Legende durch die Jahrhunderte ging und ein Buch zu dem Titel eigentlich erst ein halbes Jahrtausend später geschrieben wurde. Die wirklichen oder angeblichen Verfasser dieser Werke waren die verwegensten Aufklärer des 13., des 16. und des 18. Jahrhunderts. Der Nachfolger wußte wenig oder nichts von seinen Vorgängern; noch fehlte ein bewußter geschichtlicher Zusammenhang, jeder dieser Männer war ganz und gar ein Kind seiner Zeit, einer Aufklärungszeit.
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Clarisse1 - 12. Jun, 17:29
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