Ohne Titel
Meine Hilflosigkeit wächst mit der Vollendung des Geschriebenen. Je näher ich an das Wort herantrete, desto mehr blutet es wie der Leichnam vor dem Mörder. Dieses Bahrgericht erspare ich mir nicht, und bedecke die Ränder einer Korrektur, der fünfzehn sorglose voraufgegangen sein mögen, mit Zeichen, die wie Wundmale sind. Ich habe immer mindestens zwei Wege, und es wäre am besten, beide und alle zu gehen. Ich werde es wohl auch noch über mich bringen, den Satz in verschiedenen Fassungen hinzusetzen, zum Nutzen des Lesers, der so gezwungen wird, einen Satz einige Male zu lesen, und zur weitesten Entfernung von jenen, die nur nach der Meinung schnappen. Bis dahin muß ich die Verantwortung für den besten vor allen guten Wegen immer dem überlassen, den ich frage. Seine mechanische Entscheidung würde mir genügen, aber da ich ihm aus ähnlicher Lage viel besser helfen könnte als er mir, so mache ichs uns nicht so einfach und stürze ihn so tief in den Abgrund meiner Zweifel, daß ich an seinem Zustand sicher werde, ihn rette und so auch mich.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 16. Nov, 11:01
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