Mittwoch, 20. Juni 2007

Der Brief, den du geschrieben

von Heinrich Heine (1797 – 1856)

Der Brief, den du geschrieben,
Er macht mich gar nicht bang;
Du willst mich nicht mehr lieben,
Aber dein Brief ist lang.

Zwölf Seiten, eng und zierlich!
Ein kleines Manuskript!
Man schreibt nicht so ausführlich,
Wenn man den Abschied gibt.

Dienstag, 19. Juni 2007

Berliner Geschäfte

von Ignaz Wrobel [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Berliner Geschäfte gehen so vor sich:
Eines Tages klingelt dich eine Herrenstimme an. "Ja – Halloh? Ja, hier ist die Internationale Union Zentrale – wir möchten Sie möglichst bald sprechen – aber möglichst bald! Wann dürfen wir Sie erwarten?" – Du sagst, sie können dich und möglichst bald erwarten. Gut. Und dann gehst du hin.
Es empfängt dich, mit allen Zeichen des Entzückens, ein außerordentlich freundlicher, dicker Mann. Er sagt, er habe schon viel von dir gehört, er sei begeistert, deine persönliche Bekanntschaft … ob du nicht Platz nehmen wollest, auch eine Zigarre … wie? … Ja, also zur Sache. Es handele sich da um etwas ganz Neues. Um etwas absolut und völlig Neues, bei dem man gleich an dich gedacht habe – weil es ohne dich erstens nicht gehe, und weil du überhaupt der geeignetste Mann … Man wolle nämlich – aber das sei noch ganz vertraulich – man wolle nämlich eine neue Zeitschrift aufmachen. Ach, um Gottes willen! Aber du fällst nicht vom Stuhl, sondern siehst den kleinen, dicken Mann, gesellschaftlich wohl erzogen, wie man dich hat, freundlich an. Ja, sagt der, also eine neue Zeitschrift - und alle ersten Leute würden mitmachen, und du als Zeichner, du müßtest auch. Aber gleich! Aber sofort! Es seien nur noch ein paar kleine Modalitäten, ein paar Formalitätchen … Kleinigkeiten, nicht wahr …? Im übrigen pressierte es sehr. Ob du wohl schon morgen abliefern könntest –? Oder vielleicht vorgestern? Aber sofort müßtest du liefern. Sofort. Du verbeugst dich sehr fein und versprichst: Sofort. Gut. Stühlerücken. Händedruck. Mich sehr gefreut. Aus.
Aus.
Nun hörst du nämlich vier geschlagene Wochen nichts mehr von der Internationalen Union-Zentrale. Du hast dich gleich am nächsten Morgen hingesetzt und hast das schönste Mädchenbein unter deinen Modellen abgekonterfeit, den grünsten Wald und den blausten Baldachin überm Himmelbett hast du gemalen – und das Ganze hast du fein säuberlich verpackt und an die I. U. Z. (wie das klingt! so kapitalkräftig!) abgeschickt. Und dann ist es aus. Den ganzen Beitrag lesen

Samstag, 16. Juni 2007

Aus Büchern lernen ...

Gewisse Bücher scheinen geschrieben zu sein, nicht damit man daraus lerne, sondern damit man wisse, daß der Verfasser etwas gewußt hat.

Eigentlich lernen wir nur von Büchern, die wir nicht beurteilen können. Der Autor eines Buchs, das wir beurteilen könnten, müßte von uns lernen.
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Seltsame Ware

Eine seltsamere Ware, als Bücher, gibt es wohl schwerlich in der Welt. Von Leuten gedruckt, die sie nicht verstehen; von Leuten verkauft, die sie nicht verstehen; gebunden, rezensiert und gelesen von Leuten, die sie nicht verstehen; und nun gar geschrieben von Leuten, die sie nicht verstehen.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

Freitag, 15. Juni 2007

Philister

Der Philister hat manchmal recht, aber nie in den Gründen.Friedrich Hebbel (1813 – 1863)Die Persönlichkeit hat ein Recht zu irren. Der Philister kann irrtümlich Recht haben.Karl Kraus (1874 – 1936)

Donnerstag, 14. Juni 2007

Schlagworte

Es gibt Menschen, welche Schlagworte wie Münzen schlagen, und Menschen, welche mit Schlagworten wie mit Schlagringen zuschlagen.

Nichts ist so verbreitet wie das Schlagwort. Es wird bis in die höchsten Geisteskreise hinauf gebraucht und hängt oft noch dem Scharfsinnigsten als Zöpfchen hinten.

Mit keinem Köder fischt Mephisto so glücklich, als mit allem, was im Engeren und Weiteren unter den Begriff des Schlagworts fällt.
Christian Morgenstern (1871 – 1914)

Mittwoch, 13. Juni 2007

Praktisch

von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Eine Menge deutscher Sprachunarten scheinen aus dem Englischen zu kommen. 'Praktisch' kommt wohl auch daher.
Das Wort wurde früher im Sinne von nützlich, bequem gebraucht – wenn man von der etwas altmodischen Zusammensetzung wie praktischer Arzt absieht. Eine Vorrichtung war für den Benutzer praktisch – das Wort war zwar nicht schön, doch seine Bedeutung recht klar. Jetzt hat sich etwas Neues eingebürgert.
Die Adverbialkrankheit, die die deutsche Sprache durchzieht, läßt ‚praktisch’ als Adverb auftauchen. Die Brille blitzt, und los gehts: „Theoretisch können Sie ja Armenunterstützung beanspruchen, aber praktisch werden Sie sie kaum bekommen.“ Also bekomme ich sie nicht – was quatscht mich die Sprache da an! Gemeint ist: in Wahrheit, in Wirklichkeit – im Gegensatz zu einer Abstraktion, die ja kein guter Deutscher außer acht läßt.
Nun ist aber dieser Zusatz, der vielleicht in dem englischen ‚practically’ seinen Ursprung hat, völlig überflüssig. Es ist eines jener Wörter, die die deutsche Sprache so unleidlich aufblähen – viele Leute können ja überhaupt nicht mehr sprechen, sondern nur noch einen Brei von Terminologien zusammensprudeln. „Er wird praktisch sein Amt nicht ausüben…“ das ist doch Wahnwitz. Ob er es nach den Buchstaben irgend eines toten Buches ausüben könnte, will ja niemand wissen – übt er es aus oder übt er es nicht aus? Er übt es nicht aus. Dann sags.
Die verteufelte Anwendung dieses dummen Wortes entstammt der Wichtigtuerei, von der so mancher besessen ist – den Leuten ist nicht wohl, wenn sie einfach sagen sollten: „Er mag keine Gurken.“ Das freut ja keinen. „Er hat einen Gurkenkomplex“ – so heißt das. Und daher auch: „Praktisch wird den Arbeitslosen keiner entschädigen.“ Dahinter sitzt dann jene Rückversicherung, der Blick auf die Theorie: es gibt vielleicht ein Gesetz, wonach der Arbeitslose entschädigt werden müßte, oho! hier herrscht Ordnung! – aber was ein richtiges Gesetz ist, das ist längst durch eine Notverordnung aufgehoben. Denn wir haben eine Verfassung. Aber praktisch…

Dienstag, 12. Juni 2007

Von berühmten ungedruckten Büchern

von Fritz Mauthner (1849 – 1923)

Es mag schon wunderlich klingen, nur von ungedruckten Büchern zu hören. Man weiß ja, daß es im Altertum und im Mittelalter keine durch Druck vervielfältigten Bücher gegeben hat, vielmehr nur im Handwerk abgeschriebene; aber seit Erfindung des Buchdrucks wird bekanntlich alles oder doch fast alles durch die Druckmaschine vervielfältigt, was irgend geschrieben wurde. Die Buchdruckpresse ist hungrig, nicht erst seit gestern; schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurde in Holland, damals dem einzigen Lande des freien Denkens und der freien Presse, selbst von freisinnigen Menschen eine Einschränkung des Massenbetriebes herbeigesehnt, eine unmögliche Zensur durch guten Geschmack. Noch wunderlicher mag die Nachricht klingen, daß es berühmte ungedruckte Bücher gegeben habe. Als Beispiele ließen sich da Schriften aus alter und neuer Zeit anführen, die ungedruckt geblieben sind, weil sie verloren gegangen waren, oder weil kein Verleger die Kosten daran wagte (wie heute noch bei manchen scholastischen Manuskripten), oder weil gar die vielgenannte Geistesschöpfung (wie Lessings vollständiger "Faust") niemals auf der Welt gewesen war. Die Fälle, auf die ich hinweisen möchte, sind anderer und merkwürdigerer Art; es handelt sich um drei schriftstellerische Taten, von denen in den Kämpfen für und gegen die Aufklärung unzählige Male die Rede war, ohne daß die Bücher selbst durch den Druck zugänglich gemacht wurden; am seltsamsten liegt der dritte Fall, weil da das Buch nur als Titel wie eine Legende durch die Jahrhunderte ging und ein Buch zu dem Titel eigentlich erst ein halbes Jahrtausend später geschrieben wurde. Die wirklichen oder angeblichen Verfasser dieser Werke waren die verwegensten Aufklärer des 13., des 16. und des 18. Jahrhunderts. Der Nachfolger wußte wenig oder nichts von seinen Vorgängern; noch fehlte ein bewußter geschichtlicher Zusammenhang, jeder dieser Männer war ganz und gar ein Kind seiner Zeit, einer Aufklärungszeit.
[...] Den ganzen Beitrag lesen

Montag, 11. Juni 2007

Schneckentempo

Er bewegte sich so langsam als wie ein Stundenzeiger unter einem Haufen von Sekundenzeigern.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

Freitag, 8. Juni 2007

Ohne Titel

Man verliert den Schwerpunkt, wenn man den Kopf allein füllt.Emanuel Wertheimer (1846 – 1916)

Donnerstag, 7. Juni 2007

Das achtzehnte Sonett

von Louise Labé (1524 – 1566)

Küß mich noch einmal, küß mich wieder, küsse
mich ohne Ende. Diesen will ich schmecken,
in dem will ich an deiner Glut erschrecken,
und vier für einen will ich, Überflüsse

will ich dir wiedergeben. Warte, zehn
noch glühendere; bist du nun zufrieden?
O daß wir also, kaum mehr unterschieden,
glückströmend ineinander übergehn.

In jedem wird das Leben doppelt sein.
Im Freunde und in sich ist einem jeden
jetzt Raum bereitet. Laß mich Unsinn reden:

Ich halt mich ja so mühsam in mir ein
und lebe nur und komme nur zu Freude,
wenn ich, aus mir ausbrechend, mich vergeude.

Informationen zu Louise Labé

Mittwoch, 6. Juni 2007

Ohne Titel

Man äußert oft übertriebenes Ehrgefühl, um dessen Mangel zu verbergen.Emanuel Wertheimer (1846 – 1916)

Dienstag, 5. Juni 2007

Wie sich das Galgenkind die Monatsnamen merkt

von Christian Morgenstern (1871 – 1914)

Jaguar
Zebra
Nerz
Mandrill
Maikäfer
Pony
Muli
Auerochs
Wespenbär
Locktauber
Robbenbär
Zehenbär

Montag, 4. Juni 2007

Ohne Titel

Manche Leute wollen nie, sondern "möchten" bloß.Walter Calé (1881 – 1904)

Sonntag, 3. Juni 2007

Eifersucht

Die Liebe schwankender Charaktere wird erst durch Eifersucht zu einer starken Empfindung.Walter Calé (1881 – 1904)

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HELMUT ZEH

† 1. Juli 2005

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