Wie wundervoll es ist, nichts zu tun und sich anschließend zu schonen.Spanisches Sprichwort
Clarisse1 - 8. Dez, 17:58
Theobald Tiger [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Nikolaus der Gute
kommt mit einer Rute,
greift in seinen vollen Sack –
dir ein Päckchen – mir ein Pack.
Ruth Maria kriegt ein Buch
und ein Baumwolltaschentuch,
Noske einen Ehrensäbel
und ein Buch vom alten Bebel,
sozusagen zur Erheiterung,
zur Gelehrsamkeitserweiterung . . .
Marloh kriegt ein Kaiserbild
und nen blanken Ehrenschild.
Oberst Reinhard kriegt zum Hohn
die gesetzliche Pension . . .
Tante Lo, die, wie ihr wißt,
immer, immer müde ist,
kriegt von mir ein dickes Kissen. –
Und auch hinter die Kulissen
kommt der gute Weihnachtsmann:
Nimmt sich mancher Leute an,
schenkt da einen ganzen Sack
guten alten Kunstgeschmack.
Schenkt der Orska alle Rollen
Wedekinder, kesse Bollen –
(Hosenrollen mag sie nicht:
dabei sieht man nur Gesicht . . . ).
Der kriegt eine Bauerntruhe,
Fräulein Hippel neue Schuhe,
jener hält die liebste Hand –
Und das Land? Und das Land?
Bitt ich dich, so sehr ich kann:
Schenk ihm Ruhe –
lieber Weihnachtsmann!
Clarisse1 - 6. Dez, 10:35
Die alten Bücher sind selten, die zwischen Unverständlichem und Selbstverständlichem einen lebendigen Inhalt bewahrt haben.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 5. Dez, 08:46
Manchmal haben wir in Deutschland eine sogenannte 'politische Krise'. Wenn sie vor Weihnachten ausbricht, wird sie bis nach Weihnachten vertagt. Kein Mensch merkt in der Zwischenzeit, daß es eine Krise gibt. Man denke sich einen Fieberkranken, der zu seinem Arzt sagt: "Wissen Sie was, Doktor, morgen habe ich Geburtstag. Vertagen wir die Krise bis zur nächsten Woche!"Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Clarisse1 - 4. Dez, 09:32
Wenn ich einschlafen will, muß ich immer erst eine ganze Menagerie von Stimmen zum Kuschen bringen. Man glaubt gar nicht, was für einen Lärm die in meinem Zimmer machen.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 26. Nov, 09:01
von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Wenn man etwas verloren hat, ist man sehr traurig. Der Wert der Sache macht es nicht – da ist noch etwas anders.
Spieler fühlen den Gewinn als eine sichtbare Erhöhung ihrer Persönlichkeit, der zu gewinnen wohlansteht, ein Kerl, der so gebaut ist, muß eben gewinnen, das gehört zu seinen immanenten Eigenschaften. Verlust ist, bei auch nur sanfter Anlage zum Verfolgungssinn, Strafe der Götter und fühlbare Hand des Schicksals. Man hat das nicht gern. Auch hat Verlust noch eine andere bitter schmeckende Eigenschaft. Er macht lieben, was verloren ist.
Nie ist ein Gegenstand so leibhaftig da wie der, der nicht mehr da ist. Jetzt erst wird er ganz lebendig, schätzenswert, fast unersetzbar – so einen bekommst du nie mehr wieder. Aber es gibt doch noch andere Schirme, Kanarienvögel, Zerstäuber . . . Ja, aber so einen nicht.
Denn mit dem Verlorenen ist ein Stück Leben mitgegangen, es hat so vieles mitgemacht, an ihm hängen Energien, Blicke, Rufe, Lachen. Das hat es alles aufgesogen. Worauf die Sehnsuchtsmaschine einsetzt: Gestern . . . gestern um diese Zeit war er noch da. Da lag er, da hat er gestanden, ich legte meine Hand auf ihn . . . heute ist er fort. Wo ist er jetzt? Wo mag er jetzt sein? Wer hat ihn? Warum habe ich ihn nicht mehr? Komm zurück. So habe ich dich nie geliebt.
Verlust macht ärmer. Und wenn mir einer dreizehn neue Hüte kauft: Verlust macht ärmer. Wir selbst wollen die abgelegten und zu Ende gelebten Sachen wegtun – sie sollen uns nicht fortlaufen. Es ist Verrat an der Freundschaft. Wer je ein altes Kinderbuch von sich wiedergefunden hat, weiß, was ich meine: das Buch ist nur die dingliche Erscheinung, die Unterlage von scheinbar abstrakten Niederschlägen: jeder Käsefleck ist eine Lebensetappe.
Stunden oder Tage lang wird die verlorene Sache zur fixen, zur festen Idee. Das ganze Lebensgefühl dreht sich ihr zu, wendet sich empfindlich vom hellen Tage ab, zieht das Gefühl ein und liebt. Dann kommt der Krach mit Tante Anna nun endgültig zum Ausbruch, auch muß die Hypothekenkündigung eingetragen werden, und fragt dich einer nach dem kleinen Taschenmesserchen mit der matten Schale, dann sagst du – und mußt erst etwas nachdenken, bevor du antwortest: "Das? – Ach ja, das habe ich verloren." Es heißt, daß man mit Menschen ähnlich umgehe.
Clarisse1 - 20. Nov, 11:49
von Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)
Ein männlicher Briefmark erlebte
Was Schönes, bevor er klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt.
Da war die Liebe in ihm geweckt.
Er wollte sie wiederküssen,
Da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens!
Clarisse1 - 18. Nov, 10:26
"Die Absicht nun aber, in welcher der Dichter unsere Phantasie in Bewegung setzt, ist, uns die Ideen zu offenbaren, das heißt an einem Beispiele zu zeigen, was das Leben, was die Welt sei. Dazu ist die erste Bedingung, daß er es selbst erkannt habe: je nachdem dies tief oder flach geschehen ist, wird seine Dichtung ausfallen. Demgemäß gibt es unzählige Abstufungen, wie der Tiefe und Klarheit in der Auffassung der Natur der Dinge, so der Dichter. Jeder von diesen muß inzwischen sich für vortrefflich halten, sofern er richtig dargestellt hat, was er erkannte, und sein Bild seinem Original entspricht: er muß sich dem Besten gleichstellen, weil er in dessen Bilde auch nicht mehr erkennt, als in seinem eigenen, nämlich so viel, wie in der Natur selbst: da sein Blick nun einmal nicht tiefer eindringt. Der Beste selbst aber erkennt sich als solchen daran, daß er sieht, wie flach der Blick der Andern war, wie vieles noch dahinter lag, das sie nicht wiedergeben konnten, weil sie es nicht sahen, und wie viel weiter sein Blick und sein Bild reicht. Verstände er die Flachen so wenig, wie sie ihn, da müßte er verzweifeln: denn gerade weil schon ein außerordentlicher Mann dazu gehört, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die schlechten Poeten ihn aber so wenig hochschätzen können, wie er sie, so hat auch er lange an seinem eigenen Beifalle zu zehren, ehe eine Welt nachkommt. – Inzwischen wird ihm auch jener verkümmert, indem man ihm zumutet, er solle fein bescheiden sein. Es ist aber so unmöglich, daß, wer Verdienste hat und weiß, was sie kosten, selbst blind dagegen sei, wie daß ein Mann von sechs Fuß Höhe nicht merke, daß er die Andern überragt ... Horaz, Lucrez, Ovid und fast alle Alten haben stolz von sich geredet, desgleichen Dante, Shakespeare, Bako von Verulam und viele mehr. Daß einer ein großer Geist sein könne, ohne etwas davon zu merken, ist eine Absurdität, welche nur die trostlose Unfähigkeit sich einreden kann, damit sie das Gefühl der eigenen Nichtigkeit auch für Bescheidenheit halten könne. Ein Engländer hat witzig und richtig bemerkt, daß merit und modesty nichts Gemeinsames hätten, als den Anfangsbuchstaben. Die bescheidenen Zelebritäten habe ich stets im Verdacht, daß sie wohl recht haben könnten; und Corneille sagt geradezu:
La fausse humilité ne met plus en crédit:
Je scais ce que je vaux, et crois ce qu'on m'en dit.
Endlich hat Goethe es unumwunden gesagt: 'Nur die Lumpe sind bescheiden'. Aber noch unfehlbarer wäre die Behauptung gewesen, daß die, welche so eifrig von Andern Bescheidenheit fordern, auf Bescheidenheit dringen, unablässig rufen: 'Nur bescheiden! um Gotteswillen, nur bescheiden!' zuverlässig Lumpe sind, das heißt: völlig verdienstlose Wichte, Fabriksware der Natur, ordentliche Mitglieder des Packs der Menschheit. Denn wer selbst Verdienste hat, läßt auch Verdienste gelten – versteht sich echte und wirkliche. Aber der, dem selbst alle Verdienste und Vorzüge mangeln, wünscht, daß es gar keine gäbe: ihr Anblick an Andern spannt ihn auf die Folter; der blasse, grüne, gelbe Neid verzehrt sein Inneres: er möchte alle persönlich Bevorzugten vernichten und ausrotten: muß er sie aber leider leben lassen, so soll es nur unter der Bedingung sein, daß sie ihre Vorzüge verstecken, völlig verleugnen, ja abschwören. Dies also ist die Wurzel der so häufigen Lobreden auf die Bescheidenheit. Und wenn solche Präkonen derselben Gelegenheit haben, das Verdienst im Entstehen zu ersticken, oder wenigstens zu verhindern, daß es sich zeige, daß es bekannt werde – wer wird zweifeln, daß sie es tun? Denn dies ist die Praxis zu ihrer Theorie."
Schopenhauer, "Welt als Wille und Vorstellung", 2. Band, 3. Buch 37. Kap.
Zitiert nach Karl Kraus: Die Fackel: Nr. 293, 04.01.1910, 11. Jg., S. 20 ff.
Clarisse1 - 16. Nov, 13:34
Der Anstand m u ß Zuschauer haben.Emanuel Wertheimer (1846 – 1916)
Clarisse1 - 14. Nov, 12:11
In mir empört sich die Sprache selbst, Trägerin des empörendsten Lebensinhalts, wider diesen selbst. Sie höhnt von selbst, kreischt und schüttelt sich vor Ekel. Leben und Sprache liegen einander in den Haaren, bis sie in Fransen gehen, und das Ende ist ein unartikuliertes Ineinander, der wahre Stil dieser Zeit.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 12. Nov, 19:07
Kuno Bärenbold: Letzte Verführung. Nachgelassene Texte herausgegeben von Matthias Kehle und Thomas Lindemann.
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Clarisse1 - 6. Nov, 21:17
Nur in der Wonne sprachlicher Zeugung wird aus dem Chaos eine Welt.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 5. Nov, 17:10
Der Mittelmäßige schätzt an dem Genie nichts so sehr wie dessen Bescheidenheit.Emanuel Wertheimer (1846 – 1916)
Clarisse1 - 4. Nov, 11:47
Es ist ein Unglück, daß in der Welt mehr Dummheit ist, als die Schlechtigkeit braucht, und mehr Schlechtigkeit, als die Dummheit bewirkt.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 3. Nov, 14:12