Publikum – Literatur – Sprache
Warum ist das Publikum so frech gegen die Literatur? Weil es die Sprache beherrscht. Die Leute würden sich ganz ebenso gegen die andern Künste vorwagen, wenn es ein Verständigungsmittel wäre, sich anzusingen, sich mit Farbe zu beschmieren oder mit Gips zu bewerfen. Das Unglück ist eben, daß die Wortkunst aus einem Material arbeitet, das der Bagage täglich durch die Finger geht. Darum ist der Literatur nicht zu helfen. Je weiter sie sich von der Verständlichkeit entfernt, desto zudringlicher reklamiert das Publikum sein Material. Das Beste wäre noch, die Literatur so lange vor dem Publikum zu verheimlichen, bis ein Gesetz zustandekommt, welches den Leuten die Umgangssprache verbietet und ihnen nur erlaubt, sich in dringenden Fällen einer Zeichensprache zu bedienen. Aber ehe dieses Gesetz zustandekommt, dürften sie wohl gelernt haben, die Arie »Wie geht das Geschäft?« mit einem Stilleben zu beantworten.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 1. Nov, 10:14
0 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
Trackback URL:
https://clarisse.twoday.net/stories/4402428/modTrackback