Mittwoch, 10. Dezember 2008

Und für Hänschen ein Buch . . . aber welches?

von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]: Vossische Zeitung, 06.12.1927

Wenn mein Papa mit dem Rufe „Julklapp!“ ein Weihnachtsgeschenk nach dem anderen durch die Tür feuerte (was ein alter Brauch in Pommern und in Mecklenburg ist, wenn ich nicht irre) – dann war bestimmt ein richtiges, dickes Jungenbuch dabei. So eines, das vor Neuheit klebte, wenn man vorsichtig die bunten Drucke mit den edlen Indianern und den kolorierten Generalen von den Textseiten zu lösen versuchte . . . Das hieß „Die Skalp-Jäger“ oder „Der gute Kamerad“ – nun. Sie kennen das.
Ich denke, daß die Jungen, die heute zehn und fünfzehn Jahre alt sind, älter sind, als wir es damals waren; diese Generation hat zuviel gesehen, um unberührt zu sein, sie weiß von zu vielen Sorgen und von sehr viel Technik. Was mag wohl solchen Jungen Spaß machen, wenn sie lesen wollen?
Da wäre ein gutes Jugendbuch zu empfehlen, und wenn ich dabei mitgetan habe und nun auch noch öffentlich davon spreche, so geschieht das, weil ich diese Art von Tendenzlosigkeit durchaus bejahe: es geht ein anständiger Ton durch das Buch, dessen Herausgeber dem jungen Menschen nicht huldvoll auf die Schultern klopfen, sondern die auf saubere Art unterhalten wollen. Mir scheint, daß ihnen das gelungen ist. Das Buch heißt „Jugend und Welt“ und ist im Verlage von Williams &. Co. zu Berlin-Grunewald erschienen. Wäre ich noch ein Junge: ich würde längelang auf der Erde damit liegen.
Wenn man will, ist der Band so eine Art Kindermagazin: voll von Fotos, bunten Bildern, Maschinen, spannenden Geschichten und einer Menge Kleinkram, der der Jugend, solange es eine gibt, immer Spaß gemacht hat. Filmtricks und Abenteuer, Erzählungen aus allen Weltteilen, Preisaufgaben und Späße und auch Beiträge von Elf- und Zwölfjährigen . . .
In Klammem für die Erwachsenen: wieviel Arbeit hinter solch einem Werk steckt, ahnt kaum einer, und man soll es auch gewiß nicht merken. Nichts nämlich ist in Deutschland schwerer zu haben als das ganz Einfache, das, was jedes Kind verstehen kann – das Voraussetzungslose. Es sind ein paar, auch für den Erwachsenen, und gerade für ihn, sehr interessante Stücke in dem Band: so erzählt Brecht die Erlebnisse des Boxers Samson-Körner wieder (mit dem ungemein bezeichnenden Satz: „Es ist das Wichtigste im Leben, daß man in Betracht kommt!“) – und der Ton, in dem er eine an sich kleine Geschichte erzählt, ist gut getroffen. Es ist seiner.
Was in dem Band an Belehrendem steckt, ist so geschickt verarbeitet, daß sich niemand belehrt fühlt; denn prompt überschlägt jeder richtige Junge und jedes frische Mädchen „pädagogisch“ aufgetakelte Kapitel. Hier gibt es nichts zu überschlagen – so, wie man die guten, alten Kinderbücher in jeder Spanne seines Lebens lesen kann, so scheint es mir ein gutes Zeichen zu sein, wenn auch unsereiner so ein Jugendbuch mit dem größten Interesse liest. "Wir hatten mal einen Lehrer", von dem Zeichner Fritz Wolff entzückend erzählt und bebildert, ist eine kleine Kostbarkeit, die auch heute noch gilt, wenngleich sich in der Schule seitdem so vieles zum Besseren gewendet hat. Es sind sehr witzige Denksportaufgaben in dem Buch, und eine Darstellung wie "Die Zeitung" von Wolf Zucker ist beste, allerbeste Erziehungsarbeit für keine Partei – es sei denn für die der anständigen Menschen.
Der Bilderteil ist gut und läßt den Betrachter nicht locker, am besten die Fotografien; für die Bilder ist zu sagen, daß man für Kinder gar nicht naturalistisch genug "durchzeichnen" kann, wie es etwa die englische Illustrationstechnik der Magazine tut. Ein Kind will genau sehen und mit dem Finger darüber hinfahren: da muß ein Fisch ein Fisch sein und ein Kuli ein Kuli. Übrigens ist auch vom Verfasser des bekannten „Dr. Doolittle“ etwas zu lesen, und sogar etwas sehr Hübsches.
Kurz: Es geht also. Es muß nicht immer für die Jugend mit Pauken und Trompeten die imperialistische Trommel gerührt werden, und wenn es so etwas wie ein demokratisches Jugendbuch im besten Sinne geben kann: hier ist eines.

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