Sprache

Sonntag, 29. Juni 2008

Das Wörtlein

von Christian Morgenstern (1871 – 1914)

Kürzlich kam ein Wort zu mir,
staubig wie ein Wedel,
wirr das Haar, das Auge stier,
doch von Bildung edel.

Als ich, wie es hieße, frug,
sprach es leise: "herzlich".
Und aus seinem Munde schlug
eine Lache schmerzlich.

Wertlos ward ich ganz und gar,
riefs, ein Spiel der Spiele,
Modewort mit Haut und Haar,
Kaviar für zu viele.

Doch ich wusch's und bot ihm Wein,
gab ihm wieder Würde,
und belud ein Brieflein fein
mit der leichten Bürde.

Schlafend hats die ganze Nacht
weit weg reisen müssen.
Als es morgens aufgewacht,
kam ein Mund – es – küssen.

Samstag, 21. Juni 2008

Karl Kraus: Gedanke(n)

Der Gedankenlose denkt, man habe nur dann einen Gedanken, wenn man ihn hat und in Worte kleidet. Er versteht nicht, daß in Wahrheit nur der ihn hat, der das Wort hat, in das der Gedanke hineinwächst.Der Sinn nahm die Form, sie sträubte und ergab sich. Der Gedanke entsprang, der die Züge beider trug.Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedankens.Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet.Weil ich den Gedanken beim Wort nehme, kommt er.Ich habe manchen Gedanken, den ich nicht habe und nicht in Worte fassen könnte, aus der Sprache geschöpft.Der Drucker setzte: "in Worten fassen könnte". Im Gegenteil und folglich: Ich habe manchen Gedanken, den ich nicht in Worte fassen könnte, in Worten gefaßt.Der Gedanke ist in der Welt, aber man hat ihn nicht. Er ist durch das Prisma stofflichen Erlebens in Sprachelemente zerstreut: der Künstler schließt sie zum Gedanken.Der Gedanke ist ein Gefundenes, ein Wiedergefundenes. Und wer ihn sucht, ist ein ehrlicher Finder, ihm gehört er, auch wenn ihn vor ihm schon ein anderer gefunden hätte.Es gibt Vorahmer von Originalen. Wenn Zwei einen Gedanken haben, so gehört er nicht dem, der ihn früher hatte, sondern dem, der ihn besser hat.Es gibt Zuständigkeit der Gedanken, die sich um ihren jeweiligen Aufenthalt wenig kümmert.Ein Gedanke ist nur dann echtbürtig, wenn man die Empfindung hat, als ertappe man sich bei einem Plagiat an sich selbst.Meinungen sind kontagiös; der Gedanke ist ein Miasma.Karl Kraus (1874 – 1936)

Montag, 19. Mai 2008

Die Sprache

von Gustav Sack (1885 – 1916)

Sprachlos willst du die nackte Welt genießen
und tief einfühlend dich in ihr verlieren,
ohne in Worten sie zu porträtieren
und sie in hohle Klänge umzugießen?

Doch aus der Sprache deine Wunder sprießen,
in deiner Sprache nur kristallisieren
die jähen Bilder, die gleich wilden Tieren
chaotisch wütend durcheinander schießen,

zu deiner schimmernd festgefügten Welt.
Und daß dich diese Worte selbst nur malen,
klag sie nicht an, denn ohne sie zerfällt

des Daseins Klang und siebenfarbig Strahlen
in ewig wüste Nacht, schaurig erhellt
von aller Nöte flammenden Fanalen.

Sonntag, 18. Mai 2008

Sich regende und zerbrechende Sätze


"In einem Buch müssen die Sätze sich regen wie die Blätter in einem Wald, die bei all ihrer Ähnlichkeit sich doch nicht gleichen."

Gustave Flaubert an Louise Colet, 7.4.1854. – Gefunden in: Akzente. Zeitschrift für Dichtung. Hrsg. von Walter Höllerer und Hans Bender. 13(1966), S. 1.

"Mein ganzer Körper warnt mich vor jedem Wort, jedes Wort, ehe es sich von mir niederschreiben läßt, schaut sich zuerst nach allen Seiten um; die Sätze zerbrechen mir förmlich, ich sehe ihr Inneres und muß dann aber rasch aufhören."

Franz Kafka an Max Brod, 17.12.1910. – Gefunden in: Akzente. Zeitschrift für Dichtung. Hrsg. von Walter Höllerer und Hans Bender. 13(1966), S. 1.

Montag, 5. Mai 2008

,

von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Das da ist ein Komma. So wenig man es als Überschrift verwerten kann, so wenig kann man es, wie wir gleich sehn werden, an einer andern Stelle gebrauchen. Kommen Sie mit auf die Kommajagd –?
Deutsche Interpunktion ist, wenn jeder macht, was er will. Zum Beispiel bei einem der besten Übersetzer aus dem Französischen, bei Ferdinand Hardekopf, so: "Der Alkohol verheert schleichend das Land, und zwar in weit höherem Maße, als die, nur den Konsum der öffentlichen Schankstätten erfassenden Statistiken es erkennen ließen.«" Falls es eine Gottheit gibt, die sich mit der Interpunktion befaßt, so wird sie gebeten, ihr Antlitz zu verhüllen. Man lese sich den Satz mit dem Komma vor, und man wird die Spitze hinter "die" fühlen. Und der von mir hochverehrte Hardekopf steht mit diesem Komma nicht allein da. Irgendeine Akademiegröße interpungiert auch so – es ist
herzzerreißend.
"Meine, neben diesen äußerlich robusten Bauerngestalten fast schmächtige Figur . . . ", aber warum muß denn noch dem Auge und dem Atem ausdrücklich kund und zu wissen getan werden, daß dieses dem Substantiv gehörige Adjektiv noch einen Zusatz hat! Es geht doch bei solchen in der deutschen Sprache nicht immer vermeidbaren Längen sehr gut auch ohne Komma, wie diese Beispiele hier zeigen!
Ist unser Satzbau noch nicht verzwickt genug? Bei Döblin haben die Kommata die Masern, sie bleiben daher alle zu Hause. Bei Hardekopf wieder hat einer, um das Polgarsche Bild zu gebrauchen, den Text mit der Komma-Büchse bestreut, und jetzt stocken Auge und Atem. Dabei wird das nicht einmal konsequent gehandhabt. Hardekopf schreibt zum Beispiel richtig: "die meiner Verwaltung anvertraute Bewohnerschaft", wobei denn offenbar der bestimmte Artikel nicht durch ein Komma vom Zusatz abgetrennt wird, wohl aber das besitzanzeigende Fürwort. Nein, es ist wirklich nicht schön. Ich warne nur deshalb davor, weil es keine Sprachdummheit gibt, die sich nicht sofort, einer Grippe gleich, ansteckend verbreitet. So hat Döblin etwas Schönes angerichtet: weite Strecken mancher Literatur haben den Kommata-Fraß und die
Interpunktionsräude.
Mit allem schuldigen Verlaub. In diesen bewegten Zeiten. Weil wir sonst keine Sorgen haben.

Freitag, 11. April 2008

Letzter Verzicht

von Karl Henckell (1864 – 1929)

Ich kann es nicht in Worten sagen,
Was mich im Innersten erfüllt:
Worte sind wie abgetragen
Bettlergewand, das einen Gott verhüllt.

Von meinem Gott kann ich nicht prahlen
Mit eitel Klanggeräusch und Ruhm,
Mit armem Sprachgemünz bezahlen
Den Zutritt in mein tiefstes Heiligtum.

Schweigend muß ich der Kraft vertrauen,
Die kündet jeder Atemzug,
Die aus dem Staub mit Adlerklauen
Mich zu des Lebens reinen Höhen trug.

Freitag, 15. Februar 2008

"lauttroie rechtschraibung" anno 1910


– die Alternative zur aktuellen Rechtschreibreform . . .

ortograhf

Anzeige aus: Der Sturm, 1910

Donnerstag, 14. Februar 2008

"jederMann"

Wenn eine Frau sagt 'Jeder', meint sie: jedermann.
Wenn ein Mann sagt 'Jeder', meint er: Jeder Mann.
Marie von Ebner-Eschenbach (1830 – 1916)

Dienstag, 29. Januar 2008

Flügel der Seele

Wenn Plato sagt die Leidenschaften und die natürlichen Triebe seien die Flügel der Seele, so drückt er sich sehr lehrreich aus, solche Vergleichungen erläutern die Sache und sind gleichsam Übersetzung der schweren Begriffe eines Mannes in eine jedermann bekannte Sprache, wahrhafte Definitionen.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

Freitag, 25. Januar 2008

Bilderschrift für das Ohr

Es donnert, heult, brüllt, zischt, pfeift, braust, saust, summet, brummet, rumpelt, quäkt, ächzt, singt, rappelt, prasselt, knallt, rasselt, knistert, klappert, knurret, poltert, winselt, wimmert, rauscht, murmelt, kracht, gluckset, röcheln, klingelt, bläset, schnarcht, klatscht, lispeln, keuchen, es kocht, schreien, weinen, schluchzen, krächzen, stottern, lallen, girren, hauchen, klirren, blöken, wiehern, schnarren, scharren, sprudeln. Diese Wörter und noch andere, welche Töne ausdrücken, sind nicht bloße Zeichen, sondern eine Art von Bilderschrift für das Ohr.
Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

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HELMUT ZEH

† 1. Juli 2005

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