Sprache
von Hugo Ball (1886 – 1927)
Ich bin der große Gaukler Vauvert.
In hundert Flammen lauf ich einher.
Ich knie vor den Altären aus Sand,
Violette Sterne trägt mein Gewand.
Aus meinem Mund geht die Zeit hervor,
Die Menschen umfaß ich mit Auge und Ohr.
Ich bin aus dem Abgrund der falsche Prophet,
Der hinter den Rädern der Sonne steht.
Aus dem Meere, beschworen von dunkler Trompete,
Flieg ich im Dunste der Lügengebete.
Das Tympanum schlag ich mit großem Schall.
Ich hüte die Leichen im Wasserfall.
Ich bin der Geheimnisse lächelnder Ketzer,
Ein Buchstabenkönig und Alleszerschwätzer.
Hysteria clemens hab ich besungen
In jeder Gestalt ihrer Ausschweifungen.
Ein Spötter, ein Dichter, ein Literat
Streu ich der Worte verfängliche Saat.
Clarisse1 - 20. Jan, 11:41
Der wahre Brief ist seiner Natur nach poetisch.Novalis (1772 – 1801)
Clarisse1 - 16. Jan, 16:50
von Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)
Die armen Worte, die im Alltag darben,
die unscheinbaren Worte, lieb ich so.
Aus meinen Festen schenk ich ihnen Farben,
da lächeln sie und werden langsam froh.
Ihr Wesen, das sie bang in sich bezwangen,
erneut sich deutlich, daß es jeder sieht;
sie sind noch niemals im Gesang gegangen,
und schauernd schreiten sie in meinem Lied.
Clarisse1 - 12. Jan, 13:01
von Arthur Schopenhauer (1788 – 1860)
Die Sprache ist ein Kunstwerk und soll als ein solches, also objektiv genommen werden, und demgemäß soll alles in ihr Ausgedrückte regelrecht und seiner Absicht entsprechend sein, und in jedem Satz muß das, was er besagen soll, wirklich nachzuweisen sein, als objektiv darin liegend: nicht aber soll man die Sprache bloß subjektiv nehmen und sich notdürftig ausdrücken, in der Hoffnung, der andere werde wohl erraten, was man meine; wie es die machen, welche den Casum gar nicht bezeichnen, alle Präterita durch das Imperfekt ausdrücken, die Präfixa weglassen, usw. Welch ein Abstand ist doch zwischen denen, die einst die Tempora und Modi der Verba und die Casus der Substantiva und Adjektiva erfunden und gesondert haben – und jenen Elenden, die dies alles zum Fenster hinauswerfen möchten, um, sich so ungefähr ausdrückend, einen ihnen angemessenen Hottentottenjargon übrigzubehalten! Es sind die feilen Tintenkleckser der jetzigen an allem Geist bankrotten Literaturperiode.
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Aus: Ueber Schriftstellerei und Stil. In: Parerga und Paralipomena II, § 289a
Clarisse1 - 3. Jan, 14:58
von Fritz Mauthner (1849 – 1923)
Man hat die Sprache so oft ein bewunderungswürdiges Kunstwerk genannt, dass die meisten Menschen diese schwebende Nebelmase in einem verfliessenden Begriffe wirklich für ein Kunstwerk halten. Nur dass der eine dieselbe Bildung für eine Wiesenfläche, der zweite sie für einen alten Tempel und der dritte sie für das Porträt seiner Tante hält.
Ein Kunstwerk kann die Sprache schon darum nicht sein, weil sie nicht die Schöpfung eines Einzigen ist. Ich kann es mir wohl denken, dass die Menschheit wortlos und begrifflos jahrhundertelang dahin gelebt hätte, zweifellos und lügenlos wie die Tierwelt, und dann einmal plötzlich ein Riesenmensch entstanden wäre, ein Klaftermensch unter Ellenmenschen. Und der wäre ein Dichter gewesen. Er hätte sich, er für sich ganz allein, als ob er in einem Donner die Spannung hätte entladen wollen, die Sprache ersehnt, erfunden und ausgebaut. Das wäre dann ein Kunstwerk geworden. Das Werk Eines. Aber auch ein Monolog. Die Ellenmenschen hätte ihn nicht verstanden. Die Sprache aus dem Donnerbedürfnis hätte ein Kunstwerk werden können. Die Sprache aus dem gemeinen Mitteilungstrieb ist schlechte Fabrikarbeit, zusammengestoppelt von Milliarden von Tagelöhnern.
Wie aber die Sprache kein Kunstwerk sein kann, weil nicht ein Einziger sie geschaffen hat, so ist sie auch kein Kunstwerk, weil sie nicht gemacht ist für das grosse Bedürfnis der Klaftermenschen, sondern für die kleinen Bedürfnisse aller. [...]
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Aus: Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Erster Band: Sprache und Psychologie. Stuttgart: J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger 1901, S. 25f.
Clarisse1 - 3. Jan, 14:45
von Arthur Schopenhauer (1788 – 1860)
[...] Alles greift zu, die Sprache zu demoliren, ohne Gnade und Schonung; ja, wie bei einem Vogelschießen, sucht jeder ein Stück abzulösen, wo und wie er nur kann. Also zu einer Zeit, da in Deutschland nicht ein einziger Schriftsteller lebt, dessen Werke sich Dauer versprechen dürfen, erlauben sich Bücherfabrikanten, Litteraten und Zeitungsschreiber die Sprache reformiren zu wollen, und so sehn wir denn dieses gegenwärtige, bei aller Langbärtigkeit, impotente, d.h. zu jeder Geistesproduktion höherer Art unfähige, Geschlecht, seine Muße dazu verwenden, die Sprache, in welcher große Schriftsteller geschrieben haben, auf die muthwilligste und unverschämteste Weise zu verstümmeln, um so sich ein Herostratisches Andenken zu stiften. Wenn ehemals wohl die Koryphäen der Litteratur sich, im Einzelnen, eine wohlüberlegte Sprachverbesserung erlaubten; so hält sich jetzt jeder Tintenklexer, jeder Zeitungsschreiber, jeder Herausgeber eines ästhetischen Winkelblattes befugt, seine Tatzen an die Sprache zu legen, um nach seinem Kaprice herauszureißen was ihm nicht gefallt, oder auch neue Worte einzusetzen. [...]
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Aus: Ueber Schriftstellerei und Stil. In: Parerga und Paralipomena II, § 283.
Clarisse1 - 3. Jan, 11:52
Man sagt, der Autor habe einen Einfall in Worte gekleidet. Das kommt daher, daß das Schneidern eine seltenere Gabe ist als das Schreiben. Von jeder Sphäre bezieht man Worte, nur nicht von der literarischen. Was macht der Dichter aus den Worten? Bilder. Oder er bringt sie zu plastischer Wirkung. Wann aber sagt man einmal, es sei ein Gedicht, und hat das höchste gesagt? Wenn es ein Omelette surprise ist.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 19. Dez, 09:25
Meine Hilflosigkeit wächst mit der Vollendung des Geschriebenen. Je näher ich an das Wort herantrete, desto mehr blutet es wie der Leichnam vor dem Mörder. Dieses Bahrgericht erspare ich mir nicht, und bedecke die Ränder einer Korrektur, der fünfzehn sorglose voraufgegangen sein mögen, mit Zeichen, die wie Wundmale sind. Ich habe immer mindestens zwei Wege, und es wäre am besten, beide und alle zu gehen. Ich werde es wohl auch noch über mich bringen, den Satz in verschiedenen Fassungen hinzusetzen, zum Nutzen des Lesers, der so gezwungen wird, einen Satz einige Male zu lesen, und zur weitesten Entfernung von jenen, die nur nach der Meinung schnappen. Bis dahin muß ich die Verantwortung für den besten vor allen guten Wegen immer dem überlassen, den ich frage. Seine mechanische Entscheidung würde mir genügen, aber da ich ihm aus ähnlicher Lage viel besser helfen könnte als er mir, so mache ichs uns nicht so einfach und stürze ihn so tief in den Abgrund meiner Zweifel, daß ich an seinem Zustand sicher werde, ihn rette und so auch mich.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 16. Nov, 11:01
Auch unsere Sprache ist ganz durchtränkt von Geschlechtlichkeit, auch in unserer Sprache spreizt sich das Geschlechtsvorurteil, auch die Sprache ist vorwiegend eine Männerschöpfung, auch sie ist verbildet durch einen "Maskulinismus", der, wie auf anderen Gebieten, so auch hier, dem Manne die herrschende, die edle, schöne, die erste Rolle zuerteilt.Käthe Schirmacher (1865 – 1930)
Clarisse1 - 5. Nov, 10:10
Warum ist das Publikum so frech gegen die Literatur? Weil es die Sprache beherrscht. Die Leute würden sich ganz ebenso gegen die andern Künste vorwagen, wenn es ein Verständigungsmittel wäre, sich anzusingen, sich mit Farbe zu beschmieren oder mit Gips zu bewerfen. Das Unglück ist eben, daß die Wortkunst aus einem Material arbeitet, das der Bagage täglich durch die Finger geht. Darum ist der Literatur nicht zu helfen. Je weiter sie sich von der Verständlichkeit entfernt, desto zudringlicher reklamiert das Publikum sein Material. Das Beste wäre noch, die Literatur so lange vor dem Publikum zu verheimlichen, bis ein Gesetz zustandekommt, welches den Leuten die Umgangssprache verbietet und ihnen nur erlaubt, sich in dringenden Fällen einer Zeichensprache zu bedienen. Aber ehe dieses Gesetz zustandekommt, dürften sie wohl gelernt haben, die Arie »Wie geht das Geschäft?« mit einem Stilleben zu beantworten.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 1. Nov, 10:14