Donnerstag, 3. Januar 2008

Sprache ein Kunstwerk

von Arthur Schopenhauer (1788 – 1860)

Die Sprache ist ein Kunstwerk und soll als ein solches, also objektiv genommen werden, und demgemäß soll alles in ihr Ausgedrückte regelrecht und seiner Absicht entsprechend sein, und in jedem Satz muß das, was er besagen soll, wirklich nachzuweisen sein, als objektiv darin liegend: nicht aber soll man die Sprache bloß subjektiv nehmen und sich notdürftig ausdrücken, in der Hoffnung, der andere werde wohl erraten, was man meine; wie es die machen, welche den Casum gar nicht bezeichnen, alle Präterita durch das Imperfekt ausdrücken, die Präfixa weglassen, usw. Welch ein Abstand ist doch zwischen denen, die einst die Tempora und Modi der Verba und die Casus der Substantiva und Adjektiva erfunden und gesondert haben – und jenen Elenden, die dies alles zum Fenster hinauswerfen möchten, um, sich so ungefähr ausdrückend, einen ihnen angemessenen Hottentottenjargon übrigzubehalten! Es sind die feilen Tintenkleckser der jetzigen an allem Geist bankrotten Literaturperiode.
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Aus: Ueber Schriftstellerei und Stil. In: Parerga und Paralipomena II, § 289a

Sprache kein Kunstwerk

von Fritz Mauthner (1849 – 1923)

Man hat die Sprache so oft ein bewunderungswürdiges Kunstwerk genannt, dass die meisten Menschen diese schwebende Nebelmase in einem verfliessenden Begriffe wirklich für ein Kunstwerk halten. Nur dass der eine dieselbe Bildung für eine Wiesenfläche, der zweite sie für einen alten Tempel und der dritte sie für das Porträt seiner Tante hält.
Ein Kunstwerk kann die Sprache schon darum nicht sein, weil sie nicht die Schöpfung eines Einzigen ist. Ich kann es mir wohl denken, dass die Menschheit wortlos und begrifflos jahrhundertelang dahin gelebt hätte, zweifellos und lügenlos wie die Tierwelt, und dann einmal plötzlich ein Riesenmensch entstanden wäre, ein Klaftermensch unter Ellenmenschen. Und der wäre ein Dichter gewesen. Er hätte sich, er für sich ganz allein, als ob er in einem Donner die Spannung hätte entladen wollen, die Sprache ersehnt, erfunden und ausgebaut. Das wäre dann ein Kunstwerk geworden. Das Werk Eines. Aber auch ein Monolog. Die Ellenmenschen hätte ihn nicht verstanden. Die Sprache aus dem Donnerbedürfnis hätte ein Kunstwerk werden können. Die Sprache aus dem gemeinen Mitteilungstrieb ist schlechte Fabrikarbeit, zusammengestoppelt von Milliarden von Tagelöhnern.
Wie aber die Sprache kein Kunstwerk sein kann, weil nicht ein Einziger sie geschaffen hat, so ist sie auch kein Kunstwerk, weil sie nicht gemacht ist für das grosse Bedürfnis der Klaftermenschen, sondern für die kleinen Bedürfnisse aller. [...]
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Aus: Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Erster Band: Sprache und Psychologie. Stuttgart: J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger 1901, S. 25f.

Aber die Manie ist universal:

von Arthur Schopenhauer (1788 – 1860)

[...] Alles greift zu, die Sprache zu demoliren, ohne Gnade und Schonung; ja, wie bei einem Vogelschießen, sucht jeder ein Stück abzulösen, wo und wie er nur kann. Also zu einer Zeit, da in Deutschland nicht ein einziger Schriftsteller lebt, dessen Werke sich Dauer versprechen dürfen, erlauben sich Bücherfabrikanten, Litteraten und Zeitungsschreiber die Sprache reformiren zu wollen, und so sehn wir denn dieses gegenwärtige, bei aller Langbärtigkeit, impotente, d.h. zu jeder Geistesproduktion höherer Art unfähige, Geschlecht, seine Muße dazu verwenden, die Sprache, in welcher große Schriftsteller geschrieben haben, auf die muthwilligste und unverschämteste Weise zu verstümmeln, um so sich ein Herostratisches Andenken zu stiften. Wenn ehemals wohl die Koryphäen der Litteratur sich, im Einzelnen, eine wohlüberlegte Sprachverbesserung erlaubten; so hält sich jetzt jeder Tintenklexer, jeder Zeitungsschreiber, jeder Herausgeber eines ästhetischen Winkelblattes befugt, seine Tatzen an die Sprache zu legen, um nach seinem Kaprice herauszureißen was ihm nicht gefallt, oder auch neue Worte einzusetzen. [...]
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Aus: Ueber Schriftstellerei und Stil. In: Parerga und Paralipomena II, § 283.

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HELMUT ZEH

† 1. Juli 2005

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