von Gustav Falke (1853 – 1916)
Maisonnentag und fröhliche Gesichter.
Wie Lachen liegt es in der Luft und Scherzen.
Duftwolken ziehen. Tausend bunte Lichter:
Syringen, Rotdorn, der Kastanie Kerzen. –
Bourgoisphilister: Frohgenussvernichter,
Geldprotz auf Rädern, reitende Kommerzen,
Zu Fuß im Staub zwei junge deutsche Dichter
Mit leerem Beutel und mit vollem Herzen.
Clarisse1 - 10. Mai, 18:44
"[...] Als vor Jahren der holländische Journalist Heijermans, als Penner verkleidet, das Asyl für Obdachlose aufsuchte und seine Erlebnisse im Berliner Tageblatt beschrieb, brauste jener wehmutsvolle Mitleidssturm durch die Bürgerherzen, der allemal dann säuselt, wenn es zu spät ist. Er legte sich auch bald wieder. Denn die städtische Verwaltung schickte Berichtigungen, und es brach, glaube ich, ein großer Zank aus, wieviel Handtücher den einzelnen Asylisten zuständen – aber dann war doch alles gut und erledigt, und niemand dachte mehr an das Asyl für Obdachlose. [...]"
Peter Panter [i.e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)] – In: Freiheit, 2.10.1920
Clarisse1 - 7. Mai, 09:12
Staunen erregen muß die Dummheit, dann ist sie entschuldigt.Emanuel Wertheimer (1846 – 1916)
Clarisse1 - 6. Mai, 12:54
von Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910)
Nun aber hebt zu singen an
Der Mai mit seinen Winden.
Wohl dem, der suchen gehen kann
Und bunte Blumen finden!
Die Schönheit steigt millionenfach
Empor aus schwarzer Erden;
Manch eingekümmert Weh und Ach
Mag nun vergessen werden.
Denn dazu ist der Mai gemacht,
Daß er uns lachen lehre.
Die Herzen hoch! Und fortgelacht
Des Grames Miserere!
Clarisse1 - 6. Mai, 10:03
von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Das da ist ein Komma. So wenig man es als Überschrift verwerten kann, so wenig kann man es, wie wir gleich sehn werden, an einer andern Stelle gebrauchen. Kommen Sie mit auf die Kommajagd –?
Deutsche Interpunktion ist, wenn jeder macht, was er will. Zum Beispiel bei einem der besten Übersetzer aus dem Französischen, bei Ferdinand Hardekopf, so: "Der Alkohol verheert schleichend das Land, und zwar in weit höherem Maße, als die, nur den Konsum der öffentlichen Schankstätten erfassenden Statistiken es erkennen ließen.«" Falls es eine Gottheit gibt, die sich mit der Interpunktion befaßt, so wird sie gebeten, ihr Antlitz zu verhüllen. Man lese sich den Satz mit dem Komma vor, und man wird die Spitze hinter "die" fühlen. Und der von mir hochverehrte Hardekopf steht mit diesem Komma nicht allein da. Irgendeine Akademiegröße interpungiert auch so – es ist
herzzerreißend.
"Meine, neben diesen äußerlich robusten Bauerngestalten fast schmächtige Figur . . . ", aber warum muß denn noch dem Auge und dem Atem ausdrücklich kund und zu wissen getan werden, daß dieses dem Substantiv gehörige Adjektiv noch einen Zusatz hat! Es geht doch bei solchen in der deutschen Sprache nicht immer vermeidbaren Längen sehr gut auch ohne Komma, wie diese Beispiele hier zeigen!
Ist unser Satzbau noch nicht verzwickt genug? Bei Döblin haben die Kommata die Masern, sie bleiben daher alle zu Hause. Bei Hardekopf wieder hat einer, um das Polgarsche Bild zu gebrauchen, den Text mit der Komma-Büchse bestreut, und jetzt stocken Auge und Atem. Dabei wird das nicht einmal konsequent gehandhabt. Hardekopf schreibt zum Beispiel richtig: "die meiner Verwaltung anvertraute Bewohnerschaft", wobei denn offenbar der bestimmte Artikel nicht durch ein Komma vom Zusatz abgetrennt wird, wohl aber das besitzanzeigende Fürwort. Nein, es ist wirklich nicht schön. Ich warne nur deshalb davor, weil es keine Sprachdummheit gibt, die sich nicht sofort, einer Grippe gleich, ansteckend verbreitet. So hat Döblin etwas Schönes angerichtet: weite Strecken mancher Literatur haben den Kommata-Fraß und die
Interpunktionsräude.
Mit allem schuldigen Verlaub. In diesen bewegten Zeiten. Weil wir sonst keine Sorgen haben.
Clarisse1 - 5. Mai, 08:15
Es ist nicht Sitte, eine Frau zu heiraten, die vorher ein Verhältnis gehabt hat. Aber es ist Sitte, mit einer Frau ein Verhältnis zu haben, die vorher geheiratet hat.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 3. Mai, 10:37
von Max Dauthendey (1867 – 1918)
Erster Mai.
Alle Wiesen keimen,
Alle Vögel reimen,
Kleine Blumen scheinen,
Mädchen in lachendem Schwarm,
Tausend Sonnen warm.
Mai, du machst mich arm,
Ich muß niederknien,
In meine Hände weinen.
Clarisse1 - 1. Mai, 17:00
von Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910)
Lange schlug das Herz mir dumpf
Und in faulen Schlägen,
War ein tangbedeckter Sumpf
Ohne Wellenregen.
Bunte Blumen blühten rings,
Und ich ging vorüber;
Wissenschaft, die graue Sphinx,
Gab mir Nasenstüber.
Wissenschaft, die graue Sphinx,
Mag der Teufel holen;
Euch, ihr Blüheblumen rings,
Sei mein Herz befohlen.
Sonnevoll ist mein Gemüt,
Eine grüne Wiese,
Drauf es singt und springt und blüht,
Wie im Paradiese.
Eine Geige klingt in mir,
Glockenklar und leise ...
"Oh du allerschönste Zier! . . ."
Wundersame Weise.
Glück und Glanz und Glorienschein
Ueber allem Leben,
Und die ganze Welt ist mein,
Mir zu Lehn gegeben.
Und mein Herz haucht Liebe aus,
Alle Not verendet,
Sorge, Sünde, Haß und Graus
Sind in Glück gewendet.
Dumme, holde Träumerei,
Immer kehrst du wieder:
Erste Blüten, erster Mai,
Schwärmerische Lieder.
Clarisse1 - 1. Mai, 04:12
Distichon der Geschlechter
Klein ist der Mann, den ein Weib ausfüllt,
doch er kann dadurch wachsen.
Größer geworden, hat er keinen Raum mehr für sie.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 27. Apr, 11:51
von Johann Martin Miller (1750 – 1814)
Tausend Leiden, tausend Freuden
Schweben um die Liebe her.
Wer von ihren Jüngern, wer
Schmeckte eines nur von beiden? –
Wechsel ist der Liebe Los.
Heute kämpfet sie mit Sorgen,
Und vielleicht am nächsten Morgen
Ruht sie in der Freude Schoß.
Clarisse1 - 26. Apr, 10:03
Man kehrt nur dann vor fremder Bewußtseinsschwelle, wenn man's zuhause schmutzig hat.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 24. Apr, 09:35
von Ada Christen (1839 – 1901)
Das ist der Frühling, mein junges Weib,
Er macht das Herz Dir klopfen,
Auf Deinen Blumenwangen glänzt
Der Thau in hellen Tropfen.
Das ist die Liebe, mein junges Weib
Die still Dich überkommen . . .
Und die Dein zitternd-scheues Herz
Im Frühling Dir genommen.
Clarisse1 - 23. Apr, 11:02
von Friederike Kempner (1836 – 1901)
Goldner Sonnenschein
Steigt zum Fenster ein:
"Weil Du so allein
Will ich bei Dir sein."
Clarisse1 - 22. Apr, 10:56
An Levin Schücking
von Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)
Kein Wort, und wär es scharf wie Stahles Klinge,
soll trennen, was in tausend Fäden eins,
so mächtig kein Gedanke, daß er dringe
vergällend in den Becher reinen Weins.
Das Leben ist so kurz, das Glück so selten,
so großes Kleinod: einmal s e i n statt gelten!
Hat das Geschick uns, wie in frevlem Witze,
auf feindlich starre Pole gleich erhöht,
so wisse, dort, dort auf der Scheidung Spitze
herrscht, König über alle, der Magnet,
nicht fragt er, ob ihn Fels und Strom gefährde,
ein Strahl fährt mitten er durchs Herz der Erde.
Blick in mein Auge, – ist es nicht das deine,
ist nicht mein Zürnen selber deinem gleich?
Du lächelst – und das Lächeln ist das meine,
an gleicher Lust und gleichem Sinnen reich;
worüber alle Lippen freundlich scherzen,
wir fühlen heilger es im eignen Herzen.
Pollux und Kastor, – wechselnd Glühn und Bleichen,
des Einen Licht geraubt dem Andern nur,
und doch der allerfrömmsten Treue Zeichen. –
So reiche mir die Hand, mein Dioskur!
Und mag erneuern sich die holde Mythe,
wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.
Clarisse1 - 20. Apr, 10:59
von Christian Morgenstern (1871 – 1914)
Er war voll Bildungshung, indes,
soviel er las
und Wissen aß,
er blieb zugleich ein Unverbeß,
ein Unver, sag ich, als Vergeß;
ein Sieb aus Glas,
ein Netz aus Gras,
ein Vielfreß –
doch kein Haltefraß.
Clarisse1 - 17. Apr, 09:36
Novembertag
von Christian Morgenstern (1871 – 1914)
Nebel hängt wie Rauch ums Haus,
drängt die Welt nach innen;
ohne Not geht niemand aus;
alles fällt in Sinnen.
Leiser wird die Hand, der Mund,
stiller die Geberde.
Heimlich, wie auf Meeresgrund
träumen Mensch und Erde.
Clarisse1 - 15. Apr, 10:59