Nichts ist trauriger als eine Niedrigkeit, die ihren Lohn nicht erzielt hat. Sie bilde sich nicht nachträglich ein, daß sie Gemeinheit l'art pour l'art sei.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 30. Mai, 08:35
Enthaltsamkeit rächt sich immer. Bei dem einen erzeugt sie Pusteln, beim andern Sexualgesetze.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 29. Mai, 11:42
von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Beim ersten Herannahen der Grippe, erkennbar an leichtem Kribbeln in der Nase, Ziehen in den Füßen, Hüsteln, Geldmangel und der Abneigung, morgens ins Geschäft zu gehen, gurgele man mit etwas gestoßenem Koks sowie einem halben Tropfen Jod. Darauf pflegt dann die Grippe einzusetzen.
Die Grippe – auch ‚spanische Grippe’, Influenza, Erkältung (lateinisch: Schnuppen) genannt – wird durch nervöse Bakterien verbreitet, die ihrerseits erkältet sind: die sogenannten Infusionstierchen. Die Grippe ist manchmal von Fieber begleitet, das mit 128° Fahrenheit einsetzt; an festen Börsentagen ist es etwas schwächer, an schwachen fester – also meist fester. Man steckt sich am vorteilhaftesten an, indem man als männlicher Grippekranker eine Frau, als weibliche Grippekranke einen Mann küßt – über das Geschlecht befrage man seinen Hausarzt. Die Ansteckung kann auch erfolgen, indem man sich in ein Hustenhaus (sog. ‚Theater’) begibt; man vermeide es aber, sich beim Husten die Hand vor den Mund zu halten, weil dies nicht gesund für die Bazillen ist. Die Grippe steckt nicht an, sondern ist eine Infektionskrankheit.
Sehr gut haben meinem Mann ja immer die kalten Packungen getan; wir machen das so, daß wir einen heißen Grießbrei kochen, diesen in ein Leinentuch packen, ihn aufessen und dem Kranken dann etwas Kognak geben – innerhalb zwei Stunden ist der Kranke hellblau, nach einer weiteren Stunde dunkelblau. Statt Kognak kann auch Möbelspiritus verabreicht werden. [. . . ]
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Clarisse1 - 28. Mai, 10:05
von Hans Aßmann von Abschatz (1646 – 1699). Aus: Anemons und Adonis Blumen. – In: Gedichte. Leipzig und Breslau: Christian Bauch 1704.
O wie glücklich/ wer nicht liebet/
Wer nicht fühlt in seinem Hertzen
Heisse Schmertzen
Von dem Triebe
Blinder Liebe/
Der die Welt sich untergiebet.
O wie glücklich/ wer nicht liebet!
Den kein falscher Blick betrübet/
Dem das Zürnen und Liebkosen
Zweyer Rosen
Ohne Sehnen
Ohne Trähnen
Weder Furcht noch Freude giebet.
O wie glücklich/ wer nicht liebet!
Clarisse1 - 26. Mai, 08:17
Sagenkreis von Sonne und Mond.
"(1.) Sonne und Mond sind Weib und Mann. Als sie Hochzeit hielten, that der Mond, der stets als etwas kalt und langweilig gilt, in der Brautnacht der feurigen begehrenden Braut nicht zur Genüge: er hätte lieber geschlafen. Das verdroß die Sonne und sie schlug dem Manne eine W e t t e vor, daß, wer von ihnen zuerst erwachen würde, das Recht haben solle, bey Tage zu scheinen: dem Trägen gehöre die Nacht. Würden sie beyde zugleich wach werden, sollten sie fortan nebeneinander am Himmel glänzen. Da lachte der Mond gar einfältig vor sich hin: er ging die Wette ein, weil er nicht glauben wollte, daß er verlieren könne, und lachend schlief er ein. Davon hat er das Lachen behalten. Die Sonne aber ließ der Aerger nicht lange ruhen; schon vor zwey Uhr wach, zündete sie der Welt das Licht auf und weckte den frostigen Mond, und hielt ihm ihren Sieg vor und zugleich die Strafe, daß sie nun nie mehr eine Nacht mitsammen verbringen würden.
Darum habe sie die Wette gesetzt und mit einem Eide bekräftiget, daß sie gebunden sey und nicht schwach werden könne. Seitdem leuchtet der Mond bey Nacht, die Sonne bey Tag."
Aus: Franz Xaver von Schönwerth (1810 – 1886): Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen. Augsburg: Rieger 1857–1859.
Clarisse1 - 25. Mai, 13:40
"(2.) Die Sonne aber reute bald der Schwur, den sie in der Hitze des Zornes gethan; sie liebt ja den Mond. Und auch dieser fühlt sich immer zur Braut gezogen: er hielt ja die Wette für Spiel, für Neckerey, und Scherz war es, daß er sich so kalt gezeigt. Daher möchten sich beyde gar gerne wieder vereinen. Sie kommen sich auch öfter näher und treffen manchmal zusammen; es ist dieses die Zeit der S o n n e n f i n s t e r n i s s e. Weil sie aber mit gegenseitigen Vorwürfen beginnen, keines die Schuld der Trennung tragen will, so gerathen sie hintereinander zum Streite; doch keines wird Herr. Die Zeit, welche ihnen zur Versöhnung geboten ist, läuft ab, und es kommt die Stunde wieder, wo die Sonne ihrem Schwur gemäß wandern muß. Blutroth von Zorn macht sie sich auch auf den Weg. Hätten sie nicht gestritten, wären sie vereiniget worden. Bis der Zorn sich legt, vergeht wieder geraume Weile, erst eine neue Finsterniß zeigt an, daß sie sich wieder getroffen. Aber immer wieder wird diese Zeit nicht benützt.
So ist die Sonne immer heiß vor Liebeszorn: manchmal aber, wenn sie so allein wandelt, sieht sie ihr Unrecht ein: dann weint sie b l u t i g e Thränen und geht b l u t r o t h unter."
Aus: Franz Xaver von Schönwerth (1810 – 1886): Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen. Augsburg: Rieger 1857–1859.
Clarisse1 - 25. Mai, 11:23
"(3.) Aber auch der Mond empfindet Trauer und Leid, daß er zur Sonne nicht kann; darum nimmt er ab, bis er zur kleinsten Sichel wird; wird er nach und nach voll, so hofft er; ist er aber voll, sieht er sich getäuscht und nimmt wieder ab. – Von seiner unglücklichen Liebe ist er weich gestimmt: daher sein Licht so mild und melancholisch. Daher klagen ihm auch unglücklich Liebende ihr Leid."
Aus: Franz Xaver von Schönwerth (1810 – 1886): Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen. Augsburg: Rieger 1857–1859.
Clarisse1 - 24. Mai, 12:42
Zwei Kater lebten Tag und Nacht
In stetem Krieg und Streite;
Und war ein schwerer Kampf vollbracht;
Was war des Sieges Beute?
Mit blut'gen Köpfen schlichen sie,
Ermüdet sich von dannen
Und ruhten bis in aller Früh,
Sie neu den Zank begannen.
Der Haushund sah verdrießlich zu,
Ihn ärgerte ihr Lermen.
"So haltet denn doch einmal Ruh!
Was hilfts euch aufzuwärmen,
Tagtäglich euren alten Brei.
Erzählet mir die Sache;
Vielleicht schaff ich noch Rath herbei,
Daß ich's zu Ende mache."
Die Kater sannen Kreuz und Queer,
Warum sie so sich rauften;
Und sich einander hin und her,
Mit bösen Namen tauften.
Nachdenkend schlich das Pärchen fort,
Doch schon nach wenig Stunden,
Ward kämpfend an demselben Ort,
Vom Haushund es gefunden.
Aus: Karoline Stahl (1776 – 1837): Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. 1818.
Clarisse1 - 21. Mai, 14:32
von Paul Scheerbart (1863 – 1915)
Die gebratene Flunder sitzt auf dem gelbseidenen Familiensopha und sinnt – lange.
Plötzlich springt sie auf und schaut den heiligen Nepomuk, der sich im Schaukelstuhl ein bißchen schaukelt, durchdringend an.
Dann ruft sie, während sie auf ihrem knusprigen Schwanze in der Stube herumhopst:
"Nepomuk, Du solltest Kaiser von Pangermanien werden – wahrhaftig! wirklich!"
"Du hast wohl", erwidert Nepomuk, "zuviel gebratne Butter im Kopp!"
Die gebratene Flunder springt auf den Tisch und singt die Marseillaise.
Da wird der heilige Nepomuk wütend und schlägt mit der Faust auf den Tisch.
Was geschieht?
Die Lampe fällt runter und explodiert.
Alles verbrennt und stirbt.
Die Asche gibt kein einziges Lebenszeichen von sich.
Hieraus erkennt man wieder, wieviel der Zorn zerstören kann.
Clarisse1 - 20. Mai, 10:21
von Gustav Sack (1885 – 1916)
Sprachlos willst du die nackte Welt genießen
und tief einfühlend dich in ihr verlieren,
ohne in Worten sie zu porträtieren
und sie in hohle Klänge umzugießen?
Doch aus der Sprache deine Wunder sprießen,
in deiner Sprache nur kristallisieren
die jähen Bilder, die gleich wilden Tieren
chaotisch wütend durcheinander schießen,
zu deiner schimmernd festgefügten Welt.
Und daß dich diese Worte selbst nur malen,
klag sie nicht an, denn ohne sie zerfällt
des Daseins Klang und siebenfarbig Strahlen
in ewig wüste Nacht, schaurig erhellt
von aller Nöte flammenden Fanalen.
Clarisse1 - 19. Mai, 15:24
"In einem Buch müssen die Sätze sich regen wie die Blätter in einem Wald, die bei all ihrer Ähnlichkeit sich doch nicht gleichen."
Gustave Flaubert an Louise Colet, 7.4.1854. – Gefunden in: Akzente. Zeitschrift für Dichtung. Hrsg. von Walter Höllerer und Hans Bender. 13(1966), S. 1.
"Mein ganzer Körper warnt mich vor jedem Wort, jedes Wort, ehe es sich von mir niederschreiben läßt, schaut sich zuerst nach allen Seiten um; die Sätze zerbrechen mir förmlich, ich sehe ihr Inneres und muß dann aber rasch aufhören."
Franz Kafka an Max Brod, 17.12.1910. – Gefunden in: Akzente. Zeitschrift für Dichtung. Hrsg. von Walter Höllerer und Hans Bender. 13(1966), S. 1.
Clarisse1 - 18. Mai, 14:07
Maien
De Mai, de Mai is kamen;
nu gah wi, jung un olt,
nu gah wi alltosamen
in't Holt, in't gröne Holt.
Nu frische Maien hal wi
un stäk' se an üns' Höd,
nu sett' in't Holt üns dal wi
un sing' üns' ollen Leed;
een jeder nah sin Gaben,
in eens noch eens so schön,
bet dat de Stirn dor baben
sick wisen een bi een.
Un wenn't dorœwer Nacht ward,
wat heet, wat deit dat grot,
wu sungen, küßt un lacht ward?
Kumm, sett di up min'n Schot!
De Busch, de Busch so dicht hier,
so warm de gröne Nacht;
de Flämmstirn, de gäw' Licht hier,
mihr, as wi bruken, sacht;
dat Männken sik to Wiwken
un Münd to Münd sick finnt,
min Arm sick üm din Liwken,
din üm min'n Hals sick winnt.
Nu sett di to üns her eens
in't Moß, Fru Nachtigall,
nu kumm un sing üns vör eens
din Hochtitsleeder mal!
Aus: John Brinckman (1814 – 1870): Vagel Grip. En Doenkenbok, Güstrow: Opitz 1859.
Clarisse1 - 18. Mai, 11:03
von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 – 1874)
Solltest doch lieber ins Häuschen gehn!
Wirst ja am Ende ganz naß.
Wozu doch willst du im Regen stehn?
Sag, wozu nützet dir das?
"Mairegen macht, daß man größer wird:
Größer doch möcht' ich gern sein.
Wär' ich, o Mütterchen, groß genug,
Ging ich gewiß nicht hinein."
– – –
Wer's nicht glauben mag, lese dazu auch: Karl Bartsch (1832 – 1888): Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg. Wien: Braumüller 1879/80.
"Bi'n Sünnenregen, am besten bi'n Mairegen, möten de Kinner ahn Mütz in'n Regen gahn, denn warden sei gaud grot." Allgemein.
"Wer im Mairegen geht wird wachsen, selbst derjenige, der schon ausgewachsen ist." Domänenpächter Behm in Nienhagen.
Clarisse1 - 17. Mai, 10:41
Von nichts nimmt man so lange Abschied wie von seiner Jugend; sie ist längst fort – und noch immer nimmt man Abschied von ihr.Emanuel Wertheimer (1846 – 1916)
Clarisse1 - 16. Mai, 09:12
von Anna Louisa Karsch (1722 – 1791)
1775.
Deine Seele giebt mir immer
Neues Feuer, machet mich
Immer neu verliebt in dich,
Wie der helle Sternenschimmer
In der schönen Winternacht;
Wie der Frühling mich gerührter
Durch die schöne Rose macht;
Wie der grüne Baum gezierter
Durch die Frucht mir mehr gefällt:
So gefällst du mir vor allen,
Und wirst noch in jener Welt
Bei den Engeln mir gefallen.
Clarisse1 - 12. Mai, 11:15
von Max von Schenkendorf (1783 – 1817)
Der auf Taubenflügeln schwebend,
Als die Welt ihr Sein empfing,
Allbefruchtend, allbelebend
Ueber den Gewässern hing –
Liebend sinkst du jetzt hernieder
Auf die bräutlich schöne Flur;
Deinem Hauche schlagen wieder
Alle Pulse der Natur.
Wogend durch der Schöpfung Räume,
Warm durchdringend Stein und Erz,
Weckend alle Lebenskeime
Senkst du dich ins Menschenherz.
Walle, walle, Geist der Liebe,
Unaufhaltsam, froh und frei,
Daß ein jeder unsrer Triebe,
Strahlend, wie sein Urquell, sei.
Clarisse1 - 12. Mai, 09:45
"In den Dörfern um Braunschweig wird zu Pfingsten alles mit Maien ausgeschmückt, zuweilen erscheint auch eine mit Blumen bekränzte Maibraut; an andern Orten, z. B. Kl. Scheppenstädt, Cremlingen, wurde ein ganz in Maibüsche eingehüllter Maikönig gemacht; mit dem, was gesammelt war, zog man auf die sogenannte Pfingstwiese, wo es verzehrt wurde. – In Molmerswende am Harz wird gleichfalls zuweilen ein Pfingstkönig gewählt; beim Tanz am dritten Festtag erscheinen zugleich der Bär und Schimmel, ebenso zu Hermerode und Berga; bemerkenswerth ist dabei, daß der Schimmel und Bär in der ganzen Gegend fast nie zu Weihnachten auftreten."
Aus: Franz Felix Adalbert Kuhn (1812 – 1881): Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. Leipzig: Brockhaus 1848.
Clarisse1 - 11. Mai, 13:10