von Giordano Bruno (1548 – 1600)
Gott Amor thut mir auf die Demantpforten
Und lehrt die hehre Wahrheit mich verstehen.
Das Aug' ist meines Gottes Thor; im Sehen
Entspringt, lebt, wächst er, ewig herrscht er dorten.
Er offenbart die Wesen aller Orten;
In treuem Bild darf ich das Ferne spähen.
Mit Jugendkraft zielt er: nun ist's geschehen.
Er trifft ins Herz und sprenget alle Pforten.
O thöricht Volk, von Sinnen stumpf und öde,
Hör' auf mein Wort! denn es ist recht und tüchtig.
Kannst du's, thu' ab vom Aug' die dunkle Binde!
Ihn schiltst du blind, weil deine Augen blöde;
Weil wankelmütig du, nennst ihn du flüchtig;
Weil du unmündig, machst du ihn zum Kinde.
Clarisse1 - 1. Aug, 13:34
Die Sprache tastet wie die Liebe im Dunkel der Welt einem verlorenen Urbild nach. Man macht nicht, man ahnt ein Gedicht.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 26. Jul, 18:33
Die Kleinlichkeit geht ins aschgraue. Deutschland ist bekanntlich das Land mit der größten Schilderliteratur der Welt – wenn wir einen Bahnwagen in Betrieb setzen, so nageln wir vierundsechzig Schilder hinein, die verbieten, befehlen, bitten, beschwören, die uns erzählen, daß man sich die Nase nicht in die Hand schneuzen soll (Hamburg); daß man und wie man absteigen soll; daß man . . . daß man nicht . . . Polizeilich erschreckte Kinder.Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Clarisse1 - 22. Jul, 15:15
Ich stehe immer unter dem starken Eindruck dessen, was ich von einer Frau denke.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 17. Jul, 09:08
von August Wilhelm Schlegel (1767 – 1845)
A.
Der Bundestag hat wie ein Leu gebrüllt.
Seid ihr von Grausen, Deutsche, nicht erfüllt?
Macht euch gefaßt auf unerhörte Dinge!
Er geht umher und sucht, wen er verschlinge.
B.
Nicht doch! Es war kein Brüllen, wie ihr wähnt.
Der Bundestag hat nur sehr laut gegähnt;
Denn auf der Bärenhaut der Protokolle
Sich wälzend, spielt er schlafend seine Rolle.
Clarisse1 - 10. Jul, 10:54
Mit der Entfernung von meinem Tisch wächst die Schlechtigkeit der Feuilletons.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 9. Jul, 10:58
von Christian Morgenstern (1871 – 1914)
Ja, du mit deiner Mäßigung
mit deiner salbungsvollen,
du liebtest nie, du warst nie jung,
du hast nie schaffen wollen.
Clarisse1 - 6. Jul, 11:24
Eine Notlüge ist immer verzeihlich. Wer aber ohne Zwang die Wahrheit sagt, verdient keine Nachsicht.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 3. Jul, 16:21
von Christian Morgenstern (1871 – 1914)
Aus der ach so karg gefüllten Schale unsres Herzens
laßt uns Liebe schöpfen, wo nur immer einer Seele
Schale leersteht und nach Liebe dürstet.
Nicht versiegen drum wird unsre Schale,
steigen wird die so geschöpfte Flut, nicht fallen,
Fülle wird das Los des so verschwenderischen Herzens.
Clarisse1 - 1. Jul, 09:09
von Christian Morgenstern (1871 – 1914)
Kürzlich kam ein Wort zu mir,
staubig wie ein Wedel,
wirr das Haar, das Auge stier,
doch von Bildung edel.
Als ich, wie es hieße, frug,
sprach es leise: "herzlich".
Und aus seinem Munde schlug
eine Lache schmerzlich.
Wertlos ward ich ganz und gar,
riefs, ein Spiel der Spiele,
Modewort mit Haut und Haar,
Kaviar für zu viele.
Doch ich wusch's und bot ihm Wein,
gab ihm wieder Würde,
und belud ein Brieflein fein
mit der leichten Bürde.
Schlafend hats die ganze Nacht
weit weg reisen müssen.
Als es morgens aufgewacht,
kam ein Mund – es – küssen.
Clarisse1 - 29. Jun, 13:16
An Rheumatismen und an wahre Liebe glaubt man erst, wenn man davon befallen wird.Die Liebe überwindet den Tod, aber es kommt vor, daß eine kleine üble Gewohnheit die Liebe überwindet.Wer auf meine Liebe nicht sündigt, glaubt nicht an sie.Marie von Ebner-Eschenbach (1830 – 1916)
Clarisse1 - 26. Jun, 12:37
Der kann von Liebe nicht reden,
dem sie nimmer Verlust und Gewinn war –
dem sie nie irgendwann der Sinn war
von allem und jedem.Christian Morgenstern (1871 – 1914)
Clarisse1 - 23. Jun, 08:37
Der Gedankenlose denkt, man habe nur dann einen Gedanken, wenn man ihn hat und in Worte kleidet. Er versteht nicht, daß in Wahrheit nur der ihn hat, der das Wort hat, in das der Gedanke hineinwächst.Der Sinn nahm die Form, sie sträubte und ergab sich. Der Gedanke entsprang, der die Züge beider trug.Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedankens.Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet.Weil ich den Gedanken beim Wort nehme, kommt er.Ich habe manchen Gedanken, den ich nicht habe und nicht in Worte fassen könnte, aus der Sprache geschöpft.Der Drucker setzte: "in Worten fassen könnte". Im Gegenteil und folglich: Ich habe manchen Gedanken, den ich nicht in Worte fassen könnte, in Worten gefaßt.Der Gedanke ist in der Welt, aber man hat ihn nicht. Er ist durch das Prisma stofflichen Erlebens in Sprachelemente zerstreut: der Künstler schließt sie zum Gedanken.Der Gedanke ist ein Gefundenes, ein Wiedergefundenes. Und wer ihn sucht, ist ein ehrlicher Finder, ihm gehört er, auch wenn ihn vor ihm schon ein anderer gefunden hätte.Es gibt Vorahmer von Originalen. Wenn Zwei einen Gedanken haben, so gehört er nicht dem, der ihn früher hatte, sondern dem, der ihn besser hat.Es gibt Zuständigkeit der Gedanken, die sich um ihren jeweiligen Aufenthalt wenig kümmert.Ein Gedanke ist nur dann echtbürtig, wenn man die Empfindung hat, als ertappe man sich bei einem Plagiat an sich selbst.Meinungen sind kontagiös; der Gedanke ist ein Miasma.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 21. Jun, 13:53
Einer, der Aphorismen schreiben kann, sollte sich nicht in Aufsätzen zersplittern.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 21. Jun, 10:47
von Hermann von Lingg (1820 – 1905)
Noch sprüht des längsten Tages warme Quelle
Lebendig fort, es wagen sich verstohlen
Die Träume nur und nur mit scheuen Sohlen
Die Stern' auf dieser Nacht saphirne Schwelle.
Kaum sank der Abend in die Dämmerwelle,
Da sucht ihn schon der Morgen einzuholen;
Kaum öffnen ihren Kelch die Nachtviolen,
Da hebt die Sonnenblume sich zur Helle.
In Furcht, daß sich schon hell die Berge schmücken,
Singt schöner jetzt aus taugenetzter Kehle
Die Nachtigall ihr klagendes Entzücken;
In Furcht, daß bald das süße Dunkel fehle,
Eilt Liebe, heißer Brust an Brust zu drücken,
Und tauscht im Kusse lechzend Seel' um Seele.
Clarisse1 - 21. Jun, 01:59
von Max Dauthendey (1867 – 1918)
Und immer geiler der Holunder im Dunkelgrünen blüht
Und in der Nacht wie ein Verführer blind sich müht.
Er hat sich in der schwülen Luft breitbrüstig aufgemacht.
Er lacht an allen Gartentüren, wie ein Brandstifter heimlich lacht,
Die Wurzel seinen Rumpf mit viel Geheimem gern ernährt,
Und um ihn rings die Luft toll von den tollsten Schwüren gährt.
Er hat schon manchen Schrei erstickt mit seiner Blüten Brunstgeruch,
Und hat oft zweien Leib an Leib ein Dach für Lust und Fluch gewährt,
Daß manche Hand nach Jahren noch ans Herz sich fährt.
Clarisse1 - 19. Jun, 18:09