Montag, 25. August 2008

"Rübchen schaben"

Ein Satz kann nie zur Ruhe kommen. Nun sitzt dies Wort, denke ich, und wird sich nicht mehr rühren. Da hebt das nächste seinen Kopf und lacht mich an. Ein drittes stößt ein viertes. Die ganze Bank schabt mir Rübchen. Ich laufe hinaus; wenn ich wiederkomme, ist alles wieder ruhig; und wenn ich unter sie trete, geht der Lärm los.Karl Kraus (1874 – 1936)

Samstag, 23. August 2008

Herz der Sprache

Das älteste Wort sei fremd in der Nähe, neugeboren und mache Zweifel, ob es lebe. Dann lebt es. Man hört das Herz der Sprache klopfen.Karl Kraus (1874 – 1936)

Donnerstag, 21. August 2008

Albumblatt für Literaturkritiker

Jeder, der kritisch tätig ist, sollte täglich dreimal dieses Gebet beten: Damit, daß du kritisierst, bist du dem Werk nicht überlegen; dadurch bist du ihm nicht überlegen; dadurch bist du ihm nicht überlegen.Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Dienstag, 19. August 2008

Die Wolken warten ohne Flucht

von Max Dauthendey (1867 – 1918)

Die Wolken warten ohne Flucht,
Der Wasserfall zischt aus der Schlucht.
Grasblüten zittern im Morgenhauch.
Gedanken, wie der blaue Rauch,
Sie eilen hin zum Meeresrand.

Der Sehnende lebt ohne Land,
Wie die Wolke im Leeren hängt,
Wie der Wasserfall eingezwängt.
Er bebt empfindlich wie zartes Gras.
Und wie der Meeresspiegel blaß,
Sucht ruhlos atmend er die Ruh'.
Sein Lächeln deckt Abgründe zu.

(Tosari, 23. März 1918)

Montag, 18. August 2008

"Begriffskuppelei"

von Fritz Mauthner (1849 – 1923)

[. . .] kein Beruf steht dem des tüchtigen Philosophen so nahe wie der eines Heirathsvermittlers oder Kupplers. Denn unsere ganze Arbeit, wenn wir philosophiren, ist nichts Anderes als ein Verkuppeln zweier Begriffe, die sich oft gar nicht freiwillig mit einander verbinden wollen. Auch die neuen Begriffe, welche die also verbundenen Eheleute mit einander zeugen, fehlen nicht, wobei dann – wie so oft in der Ehe – nicht die Gattten und nicht die Sprößlinge, sondern die Kuppler und die Hebeammen den sichersten Vortheil davontragen."

Aus: Fritz Mauthner: Xanthippe. Dresden und Leipzig: Verlag von Heinrich Minden 1884, S. 25.

Ich liebte nicht

von Hugo Ball (1886 – 1927)

Ich liebte nicht die Totenkopfhusaren
Und nicht die Mörser mit den Mädchennamen
Und als am End die großen Tage kamen,
Da bin ich unauffällig weggefahren.

Gott sei's geklagt und ihnen, meine Damen:
Gleich Absalom blieb ich an langen Haaren,
Dieweil sie schluchzten über Totenbahren
Im Wehbaum hängen aller ihrer Dramen.

Sie werden auch in diesen Versen finden
Manch Marterspiel und stürzend Abenteuer.
Man stirbt nicht nur durch Minen und durch Flinten.

Man wird nicht von Granaten nur zerrissen.
In meine Nächte drangen Ungeheuer,
Die mich die Hölle wohl empfinden ließen.

Sonntag, 17. August 2008

"Email" – [nicht zu verwechseln mit "E-Mail"]

von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Ich habe hier einmal einen bösen Schwupper gemacht; daß sich die Setzerkästen nicht gebogen haben! "Emaille" habe ich geschrieben – pfui! Ein guter Leser hat es angemerkt, und ich kroch mit seinem Brief in ein zu diesem Behuf angebrachtes Mauseloch und war eine halbe Stunde ganz klein und häßlich.
Das Wort "Emaille" gibt es nicht. Aber es gibt Wörter, die sind aus Email, nein, aus Zinn, nein, aus Blech, aus billigem, verbeultem Blech. Und weil wir gerade von der deutschen Sprache sprechen, dürfte es an der Zeit sein, einmal ein Wort gründlich zu beleuchten, das sich wie ein ansteckender Pickel in allen Schriftgesichtern ausbreitet. Es ist das Wort "Mensch" – mit den Nebenpickeln: "menschlich" –"Menschlichkeit" – "das Menschliche". Hier geht's weiter.

Samstag, 16. August 2008

Einfachheit

von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Das wollen wir uns immer wieder klarmachen: Terminologie ist noch gar nichts.
Da ist nun die Formalbildung in die Breite, also nicht in die Tiefe, gegangen, und: "funktionell" – "kulturphysiologisch" –"physiopsychologisch" – "Komplex" – das können sie nun alle. Aber ist damit etwas ausgesagt?
Die Deutschen haben zwei große Grundgesetze entdeckt, und zwei sehr bequeme dazu: sie glauben, eine Sache damit entschuldigt zu haben, daß sie ihren technischen Hergang erklären – und sie halten es für bedeutend, wenn sie eine Binsenwahrheit in das Vokabularium ihrer eingelernten Fachwörter einspannen. Aber es ist nicht viel damit.
Mitunter läßt sich das nicht vermeiden – mitunter bringt es einen weiter.
Aber seit jeder Esel mit ein paar angelesenen Philosophie-Brocken herumjongliert, daß einem ganz angst und bange wird, hat das aufgehört: es ist einfach trivial geworden, platt, alltäglich, nichtssagend und völlig leer. Zur Zeit wird getragen: Soziologie (ganz fürchterlich), Individual-Psychologie, Musik-Philosophie und bei den ganz Feinen: Erkenntniskritik.
Oft habe ich mir die unnütze Mühe gemacht, diesen Kram ins Deutsche zu übertragen – es kam fast immer heraus: "Ignoramus" oder: "a = a", auch hießen diese Wortkaskaden, wenn man sie hatte von sich abrauschen lassen: "Aufgeregte Menschen denken nicht so logisch wie ruhige" oder ähnliche epochemachende Weisheiten. Damit ist wenig getan.
Man sei mißtrauisch, wenn der Autor in dem byzantinischen Stil falscher Wissenschaftlichkeit einhergestelzt kommt. Der Kaiser hat ja keine Kleider . . . und unter dem tombaknen Zeug siehst du ein paar jämmerlich dünne Beine und geflickte Unterhosen.

Freitag, 15. August 2008

Der Floh

von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Im Departement du Gard – ganz richtig, da, wo Nîmes liegt und der Pont du Gard: im südlichen Frankreich – da saß in einem Postbüro ein älteres Fräulein als Beamtin, die hatte eine böse Angewohnheit: sie machte ein bißchen die Briefe auf und las sie. Das wußte alle Welt. Aber wie das so in Frankreich geht: Concierge, Telefon und Post, das sind geheiligte Institutionen, und daran kann man schon rühren, aber daran darf man nicht rühren, und so tut es denn auch keiner.
Das Fräulein also las die Briefe und bereitete mit ihren Indiskretionen den Leuten manchen Kummer.
Im Departement wohnte auf einem schönen Schlosse ein kluger Graf. Grafen sind manchmal klug, in Frankreich. Und dieser Graf tat eines Tages folgendes:
Er bestellte sich einen Gerichtsvollzieher auf das Schloß und schrieb in seiner Gegenwart an einen Freund:

Lieber Freund!
Da ich weiß, daß das Postfräulein Emilie Dupont dauernd unsre Briefe öffnet und sie liest, weil sie vor lauter Neugier platzt, so sende ich Dir inliegend, um ihr einmal das Handwerk zu legen, einen lebendigen Floh.
Mit vielen schönen Grüßen
Graf Koks

Und diesen Brief verschloß er in Gegenwart des Gerichtsvollziehers. Er legte aber keinen Floh hinein.
Als der Brief ankam, war einer drin.

Donnerstag, 14. August 2008

Journaille

Die antisoziale Tendenz der Journaille wird auch dem blödesten Auge täglich offenbarer. Die Parole des Straßenräubers: "Das Geld her oder das Leben!" ist ein harmloses Scherzwort gegenüber dem Ruf der organisierten Gesellschaftsfeinde: "Die Nachricht her oder das Leben!" ... Karl Kraus (1874 – 1936)

Mittwoch, 13. August 2008

Wider die Liebe

von Kaspar Hauser [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Die brave Hausfrau liest im Blättchen
von Lastern selten dustrer Art,
vom Marktpreis fleißiger Erzkokettchen,
vom Lustgreis auch mit Fußsackbart.

Mein Gott, denkt sich die junge Gattin,
mein Gott! welch ein Spektakulum!
"Das schlanke Frauenzimmer hat ihn . . . "
Ja was? Sie bringt sich reinweg um.

O Frau! Die Phantasie hat Grenzen,
sie ist so eng – es gibt nicht viel.
Nach wenigen Touren, wenigen Tänzen
ists stets das alte, gleiche Spiel.

Der liebt die Knaben. Dieser Ziegen.
Die will die Männer laut und fett.
Die mag bei Seeoffizieren liegen.
Und der geht nur mit sich ins Bett.

Hausbacken schminkt sich selbst das Laster.
Sieh hin – und Illusionen fliehn.
Es gründen noch die Päderaster
'Verein für Unzucht, Sitz Berlin'.

Was kann der Mensch denn mit sich machen!
Wie er sich anstellt und verrenkt:
Was Neues kann er nicht entfachen.
Es sind doch stets dieselben Sachen . . .
Geschenkt! Geschenkt!

Kritik

von Ignaz Wrobel [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Da oben spielen sie ein schweres Drama
mit Weltanschauung, Kampf von Herz und Pflicht:
Susannen attackiert ein ganz infama
Patron und läßt sie nicht.

Ich sitze im Parkett und zück den Faber
und schreibe auf, ob alles richtig sei;
Exposition, geschürzter Knoten – aber
ich denk mir nichts dabei.

Mein Herz weilt fromm bei jenem lieben Kinde,
das lächelnd eine Kindermagd agiert:
ich streichle ihr im Geiste sehr gelinde,
was sie so lieblich ziert,

Nun sieh mal einer diese süßen Pfoten,
dies Seidenhaar mit einem Häubchen drauf –
es gibt da sicher manch geschürzten Knoten:
ich löst ihn gerne auf.

Wer sagte da, daß ich nicht sachlich bliebe?
(Nu sieh mal einer dieses schlanke Bein!)
Begeisterung, Freude am Beruf und 'Liebe' –:
So soll es sein!

Mittwoch, 6. August 2008

Kritiksucht

von Arno Holz (1863 – 1929)

Wenn die Kritiksucht unsre Kunst,
En masse schablonenhaft verhunzt,
Fällt mir der Vers ein, der famose:
Du stinkst, sprach einst das Schwein zur Rose.

Dienstag, 5. August 2008

Jenny Lind und der Kritiker

von Franz Grillparzer (1791 – 1872)

Der Hund bellt an den Mond,
Der leuchtet wie gewohnt,
Gibt sich durch Strahlen kund
Und bleibt der holde Mond,
So wie der Hund – ein Hund.

Montag, 4. August 2008

Der gestrenge Kritikus

von Emmanuel Geibel (1815 – 1884)

Ich hört' einmal ein Brüllen groß,
Schon dacht' ich: "Himmlischer Vater!
Das ist ein Leu!" Doch fand ich bloß
Einen ganz gewöhnlichen Kater.

Mag man immer den Löwenton
Dem putzigen Tierchen verstatten!
Die Bären und Panther läßt es schon
Und fängt uns die Mäus' und die Ratten.

Samstag, 2. August 2008

Knappe Charakterisierung

Ein Rezensent, der zu den passenden Worten immer ein Urteil findet.Karl Kraus (1874 – 1936) in: Sprüche und Widersprüche. Wien/Leipzig: Verlag 'Die Fackel'. 1924.

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"Es gibt Worte, die nie gesagt werden dürfen, sonst sterben sie ..." – Kurt Tucholsky

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HELMUT ZEH

† 1. Juli 2005

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