Samstag, 4. Oktober 2008

Leben ohne Telephon?

Wenn ich nur ein Telephon habe, der Wald wird sich finden! Ohne Telephon kann man nur deshalb nicht leben, weil es das Telephon gibt. Ohne Wald wird man nicht leben können, auch wenn's längst keinen Wald mehr geben wird. Dies gilt für die Menschheit. Wer über ihren Idealen lebt, wird doch ein Sklave ihrer Bedürfnisse sein und leichter Ersatz für den Wald als für das Telephon finden. Die Phantasie hat ein Surrogat an der Technik gefunden; die Technik ist ein Surrogat, für das es keines gibt. Die Andern, die nicht den Wald, wohl aber das Telephon in sich haben, werden daran verarmen, daß es außen keine Wälder gibt. Die gibt es nicht, weil es innen und außen Telephone gibt. Aber weil es sie gibt, kann man ohne sie nicht leben. Denn die technischen Dinge hängen mit dem Geist so zusammen, daß eine Leere entsteht, weil sie da sind, und Vakuum, wenn sie nicht da sind. Was sich innerhalb der Zeit begibt, ist das unentbehrliche Nichts.Karl Kraus (1874 – 1936)

Freitag, 3. Oktober 2008

Aufgespießt XXXI

Die modernen Psychologen, die die Grenzen der Unverantwortlichkeit hinausschieben, haben reichlich darin Platz.Karl Kraus (1874 – 1936)

Freitag, 26. September 2008

Berliner Herbst

Für Paul Graetz

von Theobald Tiger [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Denn, so um'm September rum,
denn kriejn se wacklije Beene –
die Fliejen nämlich. Denn rummeln se so
und machen sich janz kleene.
Nee –
fliejn wolln se nich mehr.

Wenn se schon so ankomm, 'n bisken benaut . . .
denn krabbeln se so anne Scheihm;
oda se summ noch 'n bisken laut,
aba mehrschtens lassen ses bleihm . . .
Nee –
fliejn wolln se nich mehr.

Wenn se denn kriechen, falln se beinah um.
Un denn wern se nochmal heita,
denn rappeln se sich ooch nochmal hoch,
un denn jehts noch 'n Sticksken weita –
Aba fliejn . . . fliejn wolln die nich mehr.

Die andan von Somma sind nu ooch nich mehr da.
Na, nu wissen se – nu is zu Ende.
Manche, mit so jelbe Eia an Bauch,
die brumm een so über de Hände . . .
A richtich fliejn wolln se nich mehr.

Na, und denn finnste se morjens frieh,
da liejen se denn so hinta
de Fenstern rum. Denn sind se dot.
Und wir jehn denn ooch in 'n Winta.
Wie alt bist du eijentlich –?

– "Ick? Achtunnfürzich."
– "Kommst heut ahmt mit, nach unsan Lokal –?"
– "Allemal."

Samstag, 20. September 2008

Aufgespießt XXX

Den Kleinen ist es wichtiger, daß Einer sein Werk nicht für groß halte, als daß es groß sei.Karl Kraus (1874 – 1936)

Freitag, 19. September 2008

Schenken

von Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

Schenke groß oder klein,
Aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten
Die Gaben wiegen,
Sei dein Gewissen rein.

Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei
Was in dir wohnt
An Meinung, Geschmack und Humor,
So daß die eigene Freude zuvor
Dich reichlich belohnt.

Schenke mit Geist ohne List.
Sei eingedenk,
Daß dein Geschenk
Du selber bist.

Dienstag, 16. September 2008

EinBlick


. . . in die Finnische Nationalbibliothek, Helsinki

Kuppel2

Montag, 15. September 2008

Ich habe gebangt um dich

von Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)

Ich habe gebangt um dich.
Ich wäre so gern für dich gegangen. –
Du hättest im gleichen Bangen
Dann gewartet auf mich.

Ich hörte nicht mehr
Und ich sah auch nicht.
Ein Garnichts floh vor mir her,
Gefrorenes Licht.

Nun atmet mein Dank so tief,
Und die Welt blüht im Zimmer. –
Daß alles so gnädig verlief,
Vergessen wir's nimmer!

Dienstag, 9. September 2008

Karl Kraus

von Ignaz Wrobel [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Am Freitag las Karl Kraus im Bechstein-Saal aus seinen Schriften – Karl Kraus, der wiener Herausgeber der Fackel, die im Kriege so vielen dunklen Köpfen vorangeleuchtet hat. Er las künstlerisch Gestaltetes aus der großen Zeit.
Gestank steigt auf, es war, als ob ein geschichtliches Grammophon zurückgedreht wurde, die herrliche, die große Zeit stand noch einmal da im bunten Glanze all ihrer Uniformen – Hurra! Fürsten, Könige, Universitätsprofessoren, Durchhalter aller Kaliber, Presselumpen, Schmöcke, Offiziere und Huren – all das Gelichter ließ er noch einmal erstehen. Und es erstand und war lebendig – Kraus sagt einmal selbst, es sei die tragische Pflicht seiner Figur, vor alles, was wirklich geschehen sei, nur die Anführungsstriche zu setzen, und dann glauben die Leute, er habe es erfunden. So etwas gebe es nicht – so etwas könne man nur erfinden . . . Aber es ist immer wahr gewesen.
Tot ist die Zeit, und so lebendig! Hat sich denn etwas geändert? Wenn man diese Vorlesung hörte, muß man sagen: kaum. Kraus las aus seinem gewaltigen Drama "Die letzten Tage der Menschheit" – das in Zeitungsausschnitten, Reden, Zitaten und Presseberichten das Jammerbild dieser großen Jammerzeit in fotografischer Treue wiedergibt. Ein Tosen ging durch den Saal, als Kraus meisterhaft leise und klar von der Audienz vortrug, die Seine Majestät der Kaiser dem wiener Schriftsteller Hans Müller in der wiener Hofburg gewährt hatte und nach der beide, hoch voneinander entzückt, geschieden waren: "Daß der Kaiser auf einen Brünner Juden hereinfällt, das ist ja weiter kein Wunder – aber daß ein Brünner Jud auf den Kaiser hereinfällt . . . !" Nur eine schüchterne Pfeife sang leise das Lied von der deutschen Mannentreue in den Jubel . . .
Aber der Höhepunkt des Abends war doch der Brief, den Rosa Luxemburg im Jahre 1917 aus dem preußischen Weibergefängnis in Luckau an Sophie Liebknecht geschrieben hat. Wie in diesem Brief da das Weh einer ganzen Menschheit klagt, wie die Leiden der aus Rumänien geraubten Büffel, die vor Kommißwagen gespannt waren, der unvergessenen Frau Tränen entlockten – "und ich weinte ihre Tränen!" –, das brannte sich in die Herzen. Und bei diesen Worten: "Und der ganze herrliche Krieg zog an mir vorbei" dachten wir der Toten.
Hat sich etwas gewandelt? Der Saal erbrauste, und Kraus verneigte sich. Hier in Berlin wäre er längst ein toter Mann – er hätte sich sicherlich seiner – ungesetzlichen – Verhaftung durch die Flucht entzogen und wäre unterwegs auf einem Transport abhanden gekommen. Wohl ihm, daß er in Wien lebt.
Hat sich etwas gewandelt? Nein. Und wir schieden von Karl Kraus, im Ohr diese Worte:
"Und Kaiserreiche haben Präsidenten an der Spitze!"

Aus: "Freiheit", 31.05.1920

Montag, 1. September 2008

???

Mit offenen Augen vom Coupé, vom Wagen, vom Boot, vom Fiacre aus die Dinge an sich vorüberziehen lassen, das ist das A und O des Reisens.Theodor Fontane (1819 – 1898)

Sonntag, 31. August 2008

Zwei große Männer . . .

Frankfurt hat zwei große Männer hervorgebracht: Goethe und Gussy Holl.Ignaz Wrobel [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Freitag, 29. August 2008

Der Schatz der deutschen Prosa

Wenn man von Goethes Schriften absieht und namentlich von Goethes Unterhaltungen mit Eckermann, dem besten deutschen Buche, das es gibt: was bleibt eigentlich von der deutschen Prosa-Literatur übrig, das es verdiente, wieder und wieder gelesen zu werden? Lichtenbergs Aphorismen, das erste Buch von Jung-Stillings Lebensgeschichte, Adalbert Stifters Nachsommer und Gottfried Kellers Leute von Seldwyla, – und damit wird es einstweilen am Ende sein.Friedrich Nietzsche (1844 – 1900)

Fragment von Schwänzen

von Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

Ein Beytrag zu den Physiognomischen Fragmenten.
1783


Vorbericht zum fünften Bande erstes Stück, des neuen Magazins für Aerzte.

Herrn Lavaters große Physiognomie veranlaßte zwischen zweyen Freunden Spott. Der eine moquirte sich über die Silhouette des Hoffnungsvollen Jünglings – den Herr Lavater zum Genie vom ersten Range erhob – und da ihm eben ein junges Schwein begegnete, so fiel ihm ein, daß sich über die hoffnungsvollen Schweinsjünglinge wohl was Physiognomisches sagen ließe. Dieser hinzugeworfene Gedanke fachte den Witz des Verfassers sogleich an, diese Aufsätze zu machen. Beyde Freunde lebten auf der Königin der Akademien – und so kam die Idee über das Haar zu tragen hinzu.

Fragment von Schwänzen.
1) Heroische, kraftvolle
A. Ein Sauschwanz.
B. Englischer Doggenschwanz.

Zum Gesamttext

Darin auch:

Einige Silhouetten von unbekannten, meist tatlosen Schweinen.

und

Acht Silhouetten von Purschenschwänzen zur Übung.

Informationen zu Georg Christoph Lichtenberg unter:
Lichtenberg-Gesellschaft e. V.

Selbsterhalt

Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe. Ich weiß aber so viel, beides trägt nichtsdestoweniger zur Erhaltung meines Geistes und Leibes bei.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

Gedanke(n) II

Er konnte einen Gedanken, den jedermann für einfach hielt, in sieben andere spalten, wie das Prisma das Sonnenlicht, wovon einer immer schöner war als der andere, und dann einmal eine Menge anderer sammeln und Sonnenweiße hervorbringen, wo andere nichts als bunte Verwirrrung sahen.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)Der Gedanke ist in der Welt, aber man hat ihn nicht. Er ist durch das Prisma stofflichen Erlebens in Sprachelemente zerstreut: der Künstler schließt sie zum Gedanken.Karl Kraus (1874 – 1936)

Donnerstag, 28. August 2008

Ukas

von Christian Morgenstern (1871 – 1914)

Durch Anschlag mach ich euch bekannt:
Heut ist kein Fest im deutschen Land.
Drum sei der Tag für alle Zeit
zum Nichtfest-Feiertag geweiht.

Mittwoch, 27. August 2008

Größtes Glück

Meine Selbständigkeit war nächst meiner Liebe mein größtes Glück.Fanny Lewald (1811 – 1889)

Dienstag, 26. August 2008

Die Kunst, Bücher zu beurteilen . . .

Unter die größten Entdeckungen, auf die der menschliche Verstand in den neuesten Zeiten gefallen ist, gehört meiner Meinung nach die Kunst, Bücher zu beurteilen, ohne sie gelesen zu haben.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

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"Es gibt Worte, die nie gesagt werden dürfen, sonst sterben sie ..." – Kurt Tucholsky

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"Wer ein Buch zusammenstellt mit hilfreicher Weisheit, erdacht von anderen Köpfen, leistet der Menschheit einen größeren Dienst als der Verfasser eines Epos' der Verzweiflung." – Ella Wheeler Wilcox (1850 – 1919)

2017 in 4. Auflage erschienen:


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2010 erschienen:


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2018 in 3. Auflage erschienen:


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IN MEMORIAM


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HELMUT ZEH

† 1. Juli 2005

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