Es sind zuverlässig in Deutschland mehr Schriftsteller als alle vier Weltteile überhaupt zu ihrer Wohlfahrt nötig haben.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)
Clarisse1 - 26. Mär, 10:09
von Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)
Ich habe mich hungrig gefühlt,
Doch fast nichts gegessen.
War alles lecker, das Bier so schön gekühlt –
Aber: Du hast nicht neben mir
Gegessen.
Verzeihe: Ich stellte mir vor,
Daß das ewig so bliebe,
Wenn du vor mir –
Ach was geht über Liebe?!!
Muß ich nun doch
Ein paar Tage noch
Fressen, ohne Lust; o das haß ich. –
Aber wenn du von der Reise
Heimkehrst, weiß ich, daß ich
Wieder richtig speise.
Clarisse1 - 24. Mär, 17:07
von Theobald Tiger [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
In stiller Nacht und monogamen Betten
denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt.
Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten,
was uns, weil es nicht da ist, leise quält.
Du präparierst dir im Gedankengange das,
was du willst – und nachher kriegst dus nie . . .
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke –
C'est la vie –!
Sie muß sich wie in einem Kugellager
in ihren Hüften biegen, groß und blond.
Ein Pfund zu wenig – und sie wäre mager,
wer je in diesen Haaren sich gesonnt . . .
Nachher erliegst du dem verfluchten Hange,
der Eile und der Phantasie.
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke –
Ssälawih –!
Man möchte eine helle Pfeife kaufen
und kauft die dunkle – andere sind nicht da.
Man möchte jeden Morgen dauerlaufen
und tut es nicht. Beinah . . . beinah . . .
Wir dachten unter kaiserlichem Zwange
an eine Republik . . . und nun ists die!
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke –
Ssälawih –!
Clarisse1 - 18. Mär, 11:06
von Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)
Ich kann mein Buch doch nennen, wie ich will
Und orthographisch nach Belieben schreiben!
Wer mich nicht lesen mag, der laß es bleiben.
Ich darf den Sau, das Klops, das Krokodil
Und jeden andern Gegenstand bedichten,
Darf ich doch ungestört daheim
Auch mein Bedürfnis, wie mir's paßt, verrichten.
Was könnte mich zu Geist und reinem Reim,
Was zu Geschmack und zu Humor verpflichten? –
Bescheidenheit? – captatio – oho!
Und wer mich haßt, – – sie mögen mich nur hassen!
Ich darf mich gründlich an den Hintern fassen
Sowie an den avant-propos.
Clarisse1 - 13. Mär, 18:10
Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur die langweilige nicht.Voltaire (1694 – 1778)
Clarisse1 - 12. Mär, 11:35
Man könnte größenwahnsinnig werden: so wenig wird man anerkannt!Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 7. Mär, 16:22
von Cäsar Flaischlen (1864 – 1920)
Sprich noch nicht vom Frühling, es ist zu früh!
so lockend die Sonne vom Himmel blitzt,
so lockend alles glänzt und glitzt ...
sprich noch nicht vom Frühling, es ist zu früh!
Es werden Tage wieder kommen
bevor erblüht, wovon du träumst,
da alles wie vorher trostlos weh
in Regen sich begräbt und Schnee,
Tage voll Traurigkeit, Tage voll Müh ...
sprich noch nicht vom Frühling, es ist zu früh!
Und doch und dennoch: mit jubelndem Liede
grüße dies frohe befreiende Blau
über all dem farblosen Grau,
freu dich der flimmernden Mittagsstunden,
sonne das Herz dir zu keimender Kraft,
daß es dem müde machenden Winter
und seiner Enttäuschung sich wieder entrafft!
Nur warte, nur wart noch! es wird sich erfüllen,
es wird sich erfüllen, was du ersehnst:
Glutig auflodern wird es am Himmel,
über die Berge her wird es wehn
und wie donnernde Osterglocken
wird es durch die Lande gehn ...
nur warte, nur wart noch und hab Geduld!
So schön und so köstlich dies blitzende Blau
mit seinem süßen stillen Locken,
es kommen Tage noch und Wochen
farblos grau,
da alles wie vorher trostlos weh
in Regen sich begräbt und Schnee,
Tage voll Traurigkeit, Tage voll Müh ...
sprich noch nicht vom Frühling, es ist zu früh!
Clarisse1 - 1. Mär, 15:05
von Karl Bleibtreu (1859 – 1928)
Es giebt eine doppelte Gattung unglücklicher Menschen: Solche die es sind, und solche, die sich so fühlen. Selten vereint sich Beides und das scheint eine weise Fügung der bekannten Vorsehung. Denn die Verbindung dieser Momente würde den Selbstmord zur allgemeinen Manie erheben.
So giebt es denn nur nicht nur Tausende, die, von stetem Glück verfolgt, eine ewige Melancholie mit sich herumschleppen, sondern auch bestimmte Lieblinge des Unglücks, die alle möglichen Miseren mit eselhafter Geduld zu tragen wissen. Besonders die sogenannten Idealisten, eine Menschenrace, die mit der Zeit in unsrem Jahrhundert aussterben und als Naturwunder secirt werden wird. – –
Aus: Karl Bleibtreu: Größenwahn. Leipzig: Friedrich 1888.
Clarisse1 - 28. Feb, 15:10
Melancholie jeglicher Art ist das Gefühl der Unfähigkeit, den Weg seiner Ideale zu Ende gehen zu können! Deshalb machen sich die, die sich schwach fühlen, vorzeitig künstliche nahegelegene Ideale, um ihren Melancholien entrinnen zu können!Peter Altenberg (1859 – 1919)
Clarisse1 - 27. Feb, 17:32
Liebe lehrt erkennen, Haß lehrt erkennen –; Gleichgültigkeit nie.Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Clarisse1 - 24. Feb, 11:43
Haß muß produktiv machen. Sonst ist es gleich gescheiter, zu lieben.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 21. Feb, 12:27
von Kaspar Hauser [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Wenn du aufwärts gehst und dich hochaufatmend umsiehst, was du doch für ein Kerl bist, der solche Höhen erklimmen kann, du, ganz allein –: dann entdeckst du immer Spuren im Schnee. Es ist schon einer vor dir dagewesen.
Glaube an Gott. Verzweifle an ihm. Verwirf alle Philosophie. Laß dir vom Arzt einen Magenkrebs ansagen und wisse: es sind nur noch vier Jahre, und dann ist es aus. Glaub an eine Frau. Verzweifle an ihr. Führe ein Leben mit zwei Frauen. Stürze dich in die Welt. Zieh dich von ihr zurück . . .
Und alle diese Lebensgefühle hat schon einer vor dir gehabt; so hat schon einer geglaubt, gezweifelt, gelacht, geweint und sich nachdenklich in der Nase gebohrt, genau so. Es ist immer schon einer dagewesen.
Das ändert nichts, ich weiß. Du erlebst es ja zum ersten Mal. Für dich ist es Neuschnee, der da liegt. Es ist aber keiner, und diese Entdeckung ist zuerst sehr schmerzlich. In Polen lebte einmal ein armer Jude, der hatte kein Geld, zu studieren, aber die Mathematik brannte ihm im Gehirn. Er las, was er bekommen konnte, die paar spärlichen Bücher, und er studierte und dachte, dachte für sich weiter. Und erfand eines Tages etwas, er entdeckte es, ein ganz neues System, und er fühlte: ich habe etwas gefunden. Und als er seine kleine Stadt verließ und in die Welt hinauskam, da sah er neue Bücher, und das, was er für sich entdeckt hatte, das gab es bereits: es war die Differentialrechnung. Und da starb er. Die Leute sagen: an der Schwindsucht. Aber er ist nicht an der Schwindsucht gestorben.
Am merkwürdigsten ist das in der Einsamkeit. Daß die Leute im Getümmel ihre Standard-Erlebnisse haben, das willst du ja gern glauben. Aber wenn man so allein ist wie du, wenn man so meditiert, so den Tod einkalkuliert, sich so zurückzieht und so versucht, nach vorn zu sehen –: dann, sollte man meinen, wäre man auf Höhen, die noch keines Menschen Fuß je betreten hat. Und immer sind da Spuren, und immer ist einer dagewesen, und immer ist einer noch höher geklettert als du es je gekonnt hast, noch viel höher.
Das darf dich nicht entmutigen. Klettere, steige, steige. Aber es gibt keine Spitze. Und es gibt keinen Neuschnee.
Aus: Die Weltbühne, 07.04.1931, Nr. 14, S. 515.
Clarisse1 - 20. Feb, 13:05
von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Das deutsche Lesepublikum scheint mit einem großen Wurstkessel verglichen werden zu dürfen. Oben stehen die Köche – das sind die Herren Verleger – und schütten und schütten Würste hinein. Wie lange noch, und der Kessel ist voll.
Wie soll das werden? Früher, das war eine schöne Zeit. Gewiß, die Bücher waren nicht so billig wie heute, und auch die Drucktechnik ließ noch zu wünschen übrig. Aber wie liebte man so ein schmales Bändchen, wie kannte man jeden Buchstaben auf dem Einband, wie zärtlich streichelte man das oft gelesene Buch! Heute hat sich der Druck verbessert, die Ausstattung ist fast durchweg gut – aber die Bücher sind wohlfeil geworden und die Liebe zu ihnen auch. Die billigen Bücher waren anfangs eine angenehme Zugabe zu den gewichtigen Dingen, die der Markt bot – heute sind sie ein Fliegengeschmeiß, und eines Tages werden sie nicht nur den ganzen Sortimenterverdienst, sondern auch das große Interesse für Bücher aufgefressen haben. Luxusausgaben mochten wir kaum noch sehen, seit Frieda Schanz für sechs Mark eine Leinenausgabe ihrer Balladen veranstaltet und ihren Namen vorne hineinsigniert hatte. Da saßen die Verleger, und ob sie die Auflage noch so begrenzten: niemand war da, der ihnen die Exemplare, nur für Liebhaber und Liebhaberinnen hergestellt, abkaufte. Da saßen sie und weinten. Und erfanden – das billige Buch.
"Auch die große Masse soll . . . Selbst der gemeine Mann . . . Das Volk . . . " klingelten die Schlagworte. Gut. Aber was Mittel war, wurde Selbstzweck, und was heute ein besseres Buch sein will, darf nicht mehr als eine Mark kosten. Warum soll ich heute noch fünf oder gar sechs Mark für ein Werk ausgeben, das ich nächstens doch in der billigen Ausgabe erwischen werde? Die Herren Dichter mögen gewiß nicht gut dabei wegkommen – und der Verleger? Die Masse macht es. Bald wird sie es nicht mehr machen. Noch sind sie nicht übersättigt, die Bücherkäufer – obgleich leise Anzeichen schon vorhanden sind – noch kaufen sie, wie es ihre Pflicht ist. Aber über ein kurzes, und sie haben es satt. Der Zeitpunkt scheint nicht mehr fern. Der Insel-Verlag hat die Fünfzig-Pfennig-Wiese abgegrast, Fischer, der es auch nicht nötig hatte, folgte, und heute gibt es überall für sechzig Pfennige ein Buch oder viele Bücher, die soviel gute Literatur enthalten, daß sie nicht anregen, sondern sättigen. Ein Insel-Almanach im Jahr ist schön; aber die Buchhändler werden merken, daß tausend solche billigen Bücher das teurere Buch nicht einführen, sondern diskreditieren. Viel Glück!
Herunterzugehen, war nicht schwer. Jetzt heißt es: wieder heraufkommen.
Aus: Die Schaubühne, 4.12.1913, Nr. 49, S. 1210.
Clarisse1 - 18. Feb, 15:03
1098.
Im Februar führen die Frauen das Regiment.
(Aus Röbel. Pastor Behm in Melz.)
Aus: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg. Gebräuche und Aberglaube, gesammelt von Karl Bartsch (1832 – 1888)
Clarisse1 - 15. Feb, 09:41