Aufgespießt XXXIV
" [. . .] Sehen wir doch einmal zu, wer unter den Vertretern der älteren Generation neben den Modeärzten heute die Psychoanalyse betreibt. Die erstaunliche Antwort ist: fast nur Kurpfuscher der sogen. gebildeten Kreise; verunglückte Schriftsteller, schöpfungslose Dichter, Morphinisten, um die Ecke gegangene Mediziner – lauter Menschen, die keiner von uns ohne starke Bedenken an seinem Schreibtisch etwa allein lassen möchte. Alle diese psycho-analytischen Quacksalber wälzen wie im Fieber unablässig den Jargon der Schule mit vollen Backen im Munde. Aber faßt man sie ins Auge, so findet man stets, daß der Bruch in ihrem Berufsleben kein zufälliger ist, sondern daß ihre neue Wissenschaft nur ein Vorwand zur Loslösung von älteren Verpflichtungen ist; und daß sie selbst merkwürdig feige, unsichere und verantwortungslose Typen sind, die sich ans Deuten heranmachen, weil sie nie ans Handeln gehen werden, und die stets mehrere Wege offenhalten, weil sie sich selbst nicht entscheiden wollen."
Aus: Ludwig Rubiner (1881–1920): Zur Krise des geistigen Lebens. – In: Zeitschrift für Individualpsychologie (München), 1. Jg. 1916.
Clarisse1 - 19. Jan, 14:46
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