Vermischtes
Meine Selbständigkeit war nächst meiner Liebe mein größtes Glück.Fanny Lewald (1811 – 1889)
Clarisse1 - 27. Aug, 13:57
von Hugo Ball (1886 – 1927)
Ich liebte nicht die Totenkopfhusaren
Und nicht die Mörser mit den Mädchennamen
Und als am End die großen Tage kamen,
Da bin ich unauffällig weggefahren.
Gott sei's geklagt und ihnen, meine Damen:
Gleich Absalom blieb ich an langen Haaren,
Dieweil sie schluchzten über Totenbahren
Im Wehbaum hängen aller ihrer Dramen.
Sie werden auch in diesen Versen finden
Manch Marterspiel und stürzend Abenteuer.
Man stirbt nicht nur durch Minen und durch Flinten.
Man wird nicht von Granaten nur zerrissen.
In meine Nächte drangen Ungeheuer,
Die mich die Hölle wohl empfinden ließen.
Clarisse1 - 18. Aug, 09:56
Die antisoziale Tendenz der Journaille wird auch dem blödesten Auge täglich offenbarer. Die Parole des Straßenräubers: "Das Geld her oder das Leben!" ist ein harmloses Scherzwort gegenüber dem Ruf der organisierten Gesellschaftsfeinde: "Die Nachricht her oder das Leben!" ... Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 14. Aug, 10:56
Die Kleinlichkeit geht ins aschgraue. Deutschland ist bekanntlich das Land mit der größten Schilderliteratur der Welt – wenn wir einen Bahnwagen in Betrieb setzen, so nageln wir vierundsechzig Schilder hinein, die verbieten, befehlen, bitten, beschwören, die uns erzählen, daß man sich die Nase nicht in die Hand schneuzen soll (Hamburg); daß man und wie man absteigen soll; daß man . . . daß man nicht . . . Polizeilich erschreckte Kinder.Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Clarisse1 - 22. Jul, 15:15
Eine Notlüge ist immer verzeihlich. Wer aber ohne Zwang die Wahrheit sagt, verdient keine Nachsicht.Karl Kraus (1874 – 1936)
Clarisse1 - 3. Jul, 16:21
Samstag, 14. Juni 2008
von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)] – Aus: Ein Pyrenäenbuch. Berlin: Die Schmiede 1927.
Wir haben es mit den Schildern. Jakopp hat es außerdem noch mit dem Wasserwerk in Hamburg, Karlchen hat es mit den Mädchen, und ich sehe zu. Aber sonst haben wir es mit den Schildern. Am liebsten hätten wir den Kosmos so, daß an jedem Ding dransteht, was es ist, damit man es weiß. Wir freuen uns immer furchtbar, wenn wir sehn, wie an einem Spucknapf ein Schild hängt: SPUCKNAPF, damit niemand glaube, es sei ein Alligator. Hans Reimann, ein geübter Hausdieb, pflegt solche Schilder zu klauen, seine Wohnung ist voll davon, und er hat sehr schöne. Und es ist auch praktisch und gibt ein beruhigendes Gefühl, gleich überall gedruckt vor sich zu haben, worum es sich handelt.
Wenn also Karlchen zu mir zu Besuch kommt, dann hänge ich ihm eine Zimmer-Ordnung ins Zimmer – immer hübsch ordentlich. Etwa so:
ZIMMER-ORDNUNG
1. Dieses ist ein Zimmer.
2. Das Benutzen dieses Zimmers ist nur zu Wohn- beziehungsweise Schlafzwecken gestattet.
3. Das Mitbringen von fremden Weibspersonen ist fast gar nicht gestattet. Dieselben sind vorher dem Ortskommandanten vorzulegen, der sie überprüft.
4. Das Lärmen, Musizieren, das Handeln mit Apfelsinenkernen sowie das Abbrennen von Feuerwerks- und andern Körpern ist auf dieser Wiese strengstens verboten –
und so fort. Den Vogel aber hat Jakopp abgeschossen.
Jakopp hat einen entfernten Bekannten, der sich als seinen Freund ausgibt, der heißt Arthur. Ein lieber, netter Junge; er baut seit etwa anderthalb Jahren seinen juristischen Doktor, aber wir sagen schon immer »Herr Doktor« zu ihm – weil es ihn freut. Und dieser Arthur nun ißt für sein Leben gern Pfirsich-Melba. Gut.
Du weißt doch, wie Pfirsich-Melba serviert wird? In einer hohen Metallschale . . ., ganz richtig, sie steht auf einem schlanken Fuß, und wenn man nicht furchtbar geschickt damit balanciert, dann glitscht einem immer der Pfirsich aus der gelben Sauce heraus, oder die ganze Geschichte läuft fettiglangsam den schlanken Metallfuß hinunter – ich möchte das nicht bei hohem Seegang essen müssen.
Arthur muß sich sehr darüber ärgern. Und weil er die Welt nicht so zu verlassen wünscht, wie er sie angetroffen hat, so hat er sich zur Aufgabe gemacht, die Lokale, in denen er etwas zu essen bekommt, dazu zu erziehen, ihm den Pfirsich-Melba in einer flachen Glasschale aufzutragen. Das mögen die Leute aber nicht. Ihr wißt ja, wie ein Fachmann ist –: hat er eine Sache zwanzig Jahre falsch gemacht, dann wird sie ein heiliges Ritual, und wir andern haben da nichts dreinzureden. Pfirsich-Melba wird in hohen Schalen serviert, basta. Wems nicht paßt, der bestelle sich Harzer Käse. Den ißt man parterre. Pfirsich-Melba aber erste Etage.
Reden half nicht; bitten half nicht; Trinkgeldversprechungen manchmal. Aber es war wirklich nicht mehr auszuhalten: wo immer man hinkam, da sagte Arthurchen seinen Spruch auf, bevor er sich den Pfirsich-Melba bestellte, und wir konnten es schon alle gar nicht mehr ertragen. Wir lachten – er blieb unerschütterlich. Und er sagte noch dazu immer das gleiche auf, wenn er diese Geschichte anrührte . . .
Und da hatte er Geburtstag.
Auf seinem Geburtstagstisch lag ein kleiner Karton. Er öffnete ihn, neugierig – der Karton kam von Jakopp.
Darinnen lagen, fein säuberlich zusammengebunden, 50 (fünfzig) weiße Kärtchen, und auf jeder stand, hübsch gedruckt, folgendes zu lesen:
Herr Ober! Haben Sie noch einen Pfirsich- Melba? Schön, dann bringen Sie mir den – aber nicht in hohem Kelch, weils da immer so runterkleckert. Ich will das lieber in einer flachen Schale haben, wo es nicht überläuft!
. . . Daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde: Ich habe bei Ehmke in Hamburg gesehen, wie der Doktor Arthur diesen Zettel beim Kellner abgegeben hat. Das Gesicht des Kellners werde ich vor mir sehn, solange ich lebe. Er sah erst den Doktor an, dann den Zettel, dann nochmal diesen Gast . . . Dann las er. Dann sah er auf – mit einem in die Weite traumverlorenen Blick – gleich, dachte ich, wird er die Arme in die Höhe werfen und den großen Liebesschrei der Eskimos ausstoßen. Nein. Er grinste. Er faltete den Mund auseinander und grinste. Der Doktor bekam seine flache Schale. Der Kellner hat sich die Karte hoffentlich einrahmen lassen.
Jetzt erhebt sich die Frage:
Wie wäre es, und wir ließen dem Arthur für sein Doktorexamen kleine Antwortzettel drucken –?
Clarisse1 - 14. Jun, 13:24
von Klabund [i. e. Alfred Henschke (1890–1928)] – Aus: XYZ. Spiel zu dreien in drei Akten. 3. Akt. Leipzig: Reclam 1928.
[...]
Y. Gib mir eine Zigarette und lies mir etwas aus der Zeitung vor – vielleicht steht da etwas Interessantes drin. Du hast's ja nicht geschrieben – vielleicht hat unser Diener etwas rot angestrichen
Z liest. Die Preußen griffen mit voller Wucht an. Es entspann sich ein erbittertes Ringen, bis nach fünfzehn Minuten der rechte Flügel der Bayern durchbrach und sich mit Vehemenz auf die überraschten Preußen stürzte
Y. O Gott! Wie furchtbar!
Z. Die Preußen hatten mit ihren Schüssen Pech. Es waren fast immer Fehlschläge. Fünf Minuten vor drei kam es zum Handgemenge – ein wüster Knäuel von Leibern wälzte sich am Boden. Blut spritzte
Y. Entsetzlich dieser ewige Krieg zwischen Bayern und Preußen
Z. Krieg? Krieg? Wer redet denn von Krieg? Hör doch richtig zu und sperr die Ohren auf. Ich lese dir doch von dem großen Fußballwettkampf Preußen gegen Bayern
Y. Affe [...]
Clarisse1 - 12. Jun, 17:44
Mittwoch, 11. Juni 2008
von Peter Panter [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]
Die Maschine zischt, der Dampf pustet die Wagen entlang, die Reisenden steigen ein. Noch hält der Zug. Es entsteht jene peinliche Pause, während der kein Mensch mehr weiß, was er nun noch sagen soll: der, der den Kopf zum Fenster heraussteckt nicht, und die, die den Freund zum Bahnhof gebracht haben auch nicht. Endlich! Leise ruckt der Zug an – einige mäßig weiße Taschentücher schwenken durch die Luft, Köpfe nicken, Hände winken – Adieu! Adieu! – Auf Wiedersehn! und ein letztes Scherzwort, das einem gerade noch eingefallen ist. Und ein paar stille Tränen. Aus.
Übrigens geht da der Bahnhofsvorsteher, mit einem dicken Buch vorn in der Brusttasche, einer roten Mütze und einem kleinen Signalstock. Er sieht und hört nichts von den Taschentuchleuten und nichts von den Weinenden. Er geht eilig in sein Büro, wo es vertrauensvoll und dienstlich klingelt. Ist das ein abgehärteter Mann! Hat er gar keine Augen?
Er sieht das täglich zwanzigmal. Er sieht es nicht mehr.
Denn was man täglich sieht, das bekommt eine andere Färbung – wird zur Maschine – ist schließlich nachher als Erlebnis gar nicht mehr da. Kaum anzunehmen, daß der Bahnhofsvorsteher, auf einem fremden Bahnhof als Fahrgast weilend, den Abschiednehmenden gar so große Aufmerksamkeit schenken wird. Er kennt das alles.
Und sieht also alles viel besser? Ich glaube nicht. Zum Schluß sieht er gar nichts mehr. Und wer einmal, ein einziges Mal, so einen Bahnhofsabschied blitzartig erlebt hat, der trägt wohl mehr Farbe, Duft, Ton davon nach Hause als der Bahnhofsvorsteher, für den es zum täglichen Klipp-Klapp eines Automaten geworden ist. Und das ist überall so.
Der Arzt weiß so viel vom Patienten – und weniger als ein Beobachter, der einmal das Wartezimmer bevölkert hat. Der Fremdenführer hat kein Auge mehr für sein Schloß, das er jeden Tag durchpilgert, und dessen Sehenswürdigkeiten er jeden Tag ableiern muß – der Besucher hat viel mehr davon. Der Wirt sieht sein Lokal anders als der Gast; der Schauspieler das Theater anders als das Publikum. Nämlich von innen her. Und das ist mitunter nicht so ergötzlich.
Als einer der deutschen Kaiser, derentwegen ich im Abiturientenexamen durchgefallen bin, einmal ein Kloster besuchte, sagte er zu dem Prior: "Ihr habts hier aber schön! Welch herrlicher Garten! Welch herrliches Refektorium!" Und einer der Mönche erwiderte: "Ja – herrlich – transeuntibus!" – Was etwa heißt: für die, die nur vorübergehen! – Das ist ein wahres Wort.
Und wir haben bei uns so viele Bahnhofsvorsteher. Jeder ist auf irgendeinem Gebiet 'Fachmann'. Und jeder glaubt, daß nun nie wieder irgendein Mensch über dieses Gebiet sprechen dürfte, weil er selbst doch Fachmann ist. "Mir werden Sie da doch nichts erzählen!" – Aber hundert mitgemachte Fußballspiele, hundert Operationen, hundert Reisen sind – was die Eindrücke angeht – mitunter weniger als eine einzige. Daher ja auch die leise Enttäuschung, die uns immer befällt, wenn wir – was man nie tun soll – einmal zurückkehren, "weil es da doch so schön gewesen ist". Das zweitemal – das drittemal: da sehen die Augen alles viel zu scharf, viel zu exakt, viel zu sachlich: die Flecke auf dem Tischtuch, das blinde Glas, den abgebröckelten Mauerverputz . . . War das früher alles auch so?
Man muß sich wohl, um ein starkes Erlebnis zu haben, in dem schönen Glauben wiegen, der Einzige, der Erstmalige, der Einmalige zu sein. Dabei ist immer ein Bahnhofsvorsteher da, der heimlich in seinen Schnurrbart lächelt und denkt: "Mensch! das haben wir hier alle Tage! Immer heulen die Frauen an dieser Stelle, zu dieser Stunde, an diesem Ort – immer machen die Männer hier so ein ernstes Gesicht; immer gibt es hier die Schwierigkeiten mit den Autos; immer wackelt hier das schwere Gepäck auf den kleinen Wagen . . ." Immer? Für uns jedenfalls nur dieses eine Mal.
Und die Komik des Menschen enthüllt sich wohl nirgends so stark, als in dieser Egalisierung in feierlichen Lagen. (Weshalb ja auch Totengräber, Anatomiediener, Offiziersordonnanzen, kurz Menschen, die den Betrieb von hinten sehen, meist so große Philosophen sind. So sagte einmal ein Anatomiediener an der Berliner Charité: "Jeder von uns stirbt an seinem Blinddarm! Er muß es nur erleben." – Und ich kannte einen Musikmeister im Felde, der sah die Menschheit überhaupt nur in besoffenem Zustand . . .)
Ich glaube, daß man sich mit der Automatisierung des Betriebes die besten Eindrücke verdirbt. Sicherlich ist das Bild richtig, soweit etwas richtig sein kann – sicherlich macht sich der Einmalige seine Illusionen. Aber sie gehen vielleicht doch tiefer als die kalte Erfahrung des Routiniers.
Wobei es sehr heiter zu beobachten ist, daß natürlich jeder Bahnhofsvorsteher, will sagen: jeder Fachmann durchaus nicht gelten läßt, daß er seinerseits genau den lächerlichen Aspekt eines vorgeblich Einmaligen bietet, wenn er seinen Laden verlassen hat und sich in einen anderen begibt. Der ausgekochteste Bankier liebt, als sei noch nie geliebt worden; der Postbeamte, der alle Emotionen des Schalterpublikums kennt, fährt auf der Zahnradbahn, als sei die Zahnradbahn gerade erfunden worden – und über allen zusammen lacht der liebe Gott weise und leise, weil er es alles kennt, weil alles schon einmal dagewesen ist, und weil sich die Leute auf den Bahnhöfen nun einmal so närrisch benehmen.
Clarisse1 - 11. Jun, 18:47
Wenn er seinen Verstand gebrauchen sollte, so war es ihm als wenn jemand, der beständig seine rechte Hand gebraucht hat, etwas mit der linken tun soll.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)
Clarisse1 - 5. Jun, 09:29
von Joachim Ringelnatz (1883 – 1934)
Der Blitz hat mich getroffen.
Mein stählerner, linker Manschettenknopf
Ist weggeschmolzen, und in meinem Kopf
Summt es, als wäre ich besoffen.
Der Doktor Berninger äußerte sich
Darüber sehr ungezogen:
Das mit dem Summen wär' typisch für mich,
Das mit dem Blitz wär' erlogen.
Clarisse1 - 2. Jun, 08:53