Donnerstag, 31. Januar 2008

Berliner Fasching

von Theobald Tiger [i. e. Kurt Tucholsky (1890 – 1935)]

Nun spuckt sich der Berliner in die Hände
und macht sich an das Werk der Fröhlichkeit.
Er schuftet sich von Anfang bis zu Ende
durch diese Faschingszeit.

Da hört man plötzlich von den höchsten Stufen
der eleganten Weltgesellschaft längs
der Spree und den Kanälen lockend rufen:
"Rin in die Eskarpins!"

Und diese Laune, diese Grazie, weißte,
die hat natürlich alle angesteckt;
die Hand, die tagshindurch Satin verschleißte,
winkt ganz leschehr nach Sekt.

Die Dame faschingt so auf ihre Weise:
gibt man ihr einmal schon im Jahr Lizenz,
dann knutscht sie sich in streng geschlossnem Kreise,
fern jeder Konkurrenz.

Und auch der Mittelstand fühlts im Gemüte:
er macht den Bockbierfaßhahn nicht mehr zu,
umspannt das Haupt mit einer bunten Tüte
und rufet froh: "Juhu!"

Ja, selbst der Weise schätzt nicht nur die hehre
Philosophie: auch er bedarf des Weins!
Leicht angefüllt geht er bei seine Claire,
Berlin radaut, er lächelt . . .
Jeder seins.

Die Plagiatoren

Alfred Lichtenstein (1889 – 1915)

Ein jeder ist ein Teil vom Schicksal andrer,
Die vor ihm waren und die um ihn gehen,
Die auch nur einmal, eilge Weiterwandrer,
Den Weg ihm kreuzend, flüchtig bei ihm stehen.

Sie kommen, kommen ohne Zweck und Sinn,
Entfernen sich mit leichtem Wanderschritt.
Sie bringen alle etwas zu ihm hin.
Sie nehmen alle etwas von ihm mit.

Ohne Titel

Man kann sicher bei verschlossenen Augen in das erste beste Buch den Finger auf eine Zeile legen, und sagen, hierüber ließe sich ein Buch schreiben. Wenn man die Augen auftut, so wird man sich selten betrogen finden.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

Bücher schreiben . . .

Schreibt man denn Bücher bloß zum Lesen? Oder nicht auch zum Unterlegen in die Haushaltung? Gegen eins, das durchgelesen wird, werden Tausende durchgeblättert, andere Tausend liegen stille, andere werden auf Mauslöcher gepreßt, nach Ratzen geworfen, auf andern wird gestanden, gesessen, getrommelt, Pfefferkuchen gebacken, mit andern werden Pfeifen angesteckt, hinter dem Fenster damit gestanden.Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)

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HELMUT ZEH

† 1. Juli 2005

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